Prozessbericht des Solidaritätskomitees für die politischen Gefangenen Celle/Hannover

29thApr. × ’16

Verfahren vor dem OLG Celle gegen Mustafa Çelik wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§§ 129a, 129b StGB) vom 29.04.16 – 1. Prozesstag


Am 29.04.16 wurde der Prozess gegen Mustafa Çelik vor dem 4. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle eröffnet.

Im Vorfeld der Verhandlung gab es umfangreiche Kontrollen der Zuschauer*innen in Form von Personalienfeststellungen und Durchsuchungen, sodass die letzten eingelassenen Besucher*innen erst ein halbe Stunde nach Beginn des Prozesses den Saal betreten konnten. Diese Kontrollen sind Ausdruck einer Vorverurteilung des Betroffenen und führen dazu, Interessierte davon abzuhalten, sich über den Prozessverlauf zu informieren.

Neben etwa drei Dutzend Zuschauer*innen, die dem Aufruf des Solidaritätskomitees zur kritischen Begleitung des Prozesses gefolgt waren, waren Angehörige Mustafas – u.a. seine Mutter – sowie der Kovorsitzende des Demokratischen Gesellschaftszentrums der Kurd*innen in Deutschland (NAV-DEM), Yüksel Koç, und die Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) im türki­schen Parlament aus Wan (türk. Van) Tuğba Ezer anwesend.

Der Zuschauer*innen-Raum war mit einer Glasscheibe, die bis unter die Decke ragt, vom Saal abgetrennt. Mustafa konnte an einem Tisch neben seinem Verteidiger, Rechtsanwalt (RA) Necdal Disli, und dem Vertrauensdolmetscher Platz nehmen, zwar mit dem Rücken zum Zuschauer*innen-Raum, aber nicht hinter einer weiteren Glasscheibe abgetrennt, wie der vorsitzende Richter Frank Rosenow gleich zwei mal betonte.

Nach der üblichen Feststellung der Verfahrensbeteiligten und der Vereidigung der beiden vom Gericht bestellten Dolmetscher wurden auch die Personalien Mustafas festgestellt. Auf die Frage nach seinem derzeitigen Beruf antwortete er: „Ich habe keinen Beruf gelernt. Ich führe demokra­tische und kulturelle Arbeiten für mein Volk.“

Anschließend trug die Generalstaatsanwaltschaft Celle (GStA) ihre Anklageschrift vor, in der außer einer Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und allgemeinem Engagement keinerlei konkrete Handlungen vorgeworfen wurden. Stattdessen wurden die üblichen Textbausteine – warum die PKK böse und ihr Kampf nicht legitim sei, warum auch der letzte Dialog-Prozess zwischen türkischer Regierung und PKK nichts daran ändere und warum Mustafa ganz allgemein PKK-Mitglied sein solle – vorgetragen.

Nach Richter Rosenow sollte damit bereits der inhaltliche Teil des Prozesstags erledigt sein. Er ging noch auf die Gestaltung des Verfahrens ein. So ließ er den Beteiligten eine Liste mit Aktenteilen übergeben, die nach der Vorstellung des Gerichts im Selbstleseverfahren in den Prozess eingeführt werden sollen. Das bedeutet, dass die Beteiligten die Akten selbstständig durcharbeiten müssen, ohne dass sie in der mündlichen Verhandlung dargestellt werden. Dies soll die Dauer des Verfah­rens verkürzen, hat aber zur Konsequenz, dass eine (kritische) Öffentlichkeit in weiten Teilen von der Kenntnis der Akteninhalte ausgeschlossen ist.

Bevor Richter Rosenow den ersten Verhandlungstag beendete, meldete sich Mustafa zu Wort, um eine Erklärung abzugeben:

Er grüßte nicht nur das Gericht, sondern auch seine Freund*innen, die zum Prozess gekommen waren. Anschließend machte er deutlich, in welchem Rahmen er das Verfahren gegen sich sieht.

Die Isolationshaft gegen Abdullah Öcalan, der seit 18 Jahre in Haft ist und von dem seit dem 05.04.15 jedes Lebenszeichen fehlt, sei unhaltbar. Europäische Institutionen wie das Antifolter­komitee des Europarats CPT schwiegen zu dieser Situation, die mit keinem Recht vereinbar sei.

Der Krieg des türkischen Staats gegen die kurdische Bevölkerung habe mit Angriffen, Anschlägen und Morden bereits vor den Parlamentswahlen am 07.06.15 begonnen. Gefolgt seinen 400 Kampfeinsätze, die die türkische Luftwaffen allein in der Nacht vom 24.07.15 geflogen sei, massive Verhaftungen politischer Aktivist*innen, ununterbrochene Gewalt bis hin zu Massakern auch an Zivilist*innen und die Zerstörung des u.a. von der UNESCO anerkannten Weltkulturerbes in Sûr/Amed, Nisêbîn, Silopya, Gever und anderen Städten Bakûr (Nordkurdistan)/Türkei. Zuvor seit der türkische Staat aber bereits in Rojava gegen die Kurd*innen vorgegangen, was sich am deut­lichsten während der Verteidigung Kobanês gezeigt hat. Proteste in Bakûr gegen den Angriff des Islamischen Staats (IS) auf Kobanê habe der Staat brutal zerschlagen. Sowohl in Rojava als auch in Bakûr bediene sich der türkische Staat des IS‘, da er hinter ihm stehe.

Europa schaue dieser Kriegspolitik zu und mache sich mitschuldig, wenn es sich nicht für ein Ende des Krieges, erneute Verhandlungen und einen Frieden in der Region einsetze. „Europäische Werte“ würden zwar hoch gehalten werden, aber Europa setze sich nicht für sie ein. Mustafa appellierte, dass Europa und die BRD endlich ihre Verantwortung anerkennen sollten und sich für Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts, die Freiheit Abdullah Öcalans und als wichtigen Schritt die Aufhebung des PKK-Verbots einsetzen sollten.

Unterbrochen wurde die Erklärung Mustafas, da die beiden vom Gericht gestellten Dolmetscher sich nicht in der Lage zeigten, die Erklärung adäquat vom Türkischen ins Deutsche zu übersetzen. Die Übersetzung war ungenau und bruchstückhaft, was Rechtsanwalt Disli mündlich rügte.

Da Mustafa für seine Verteidigung auf eine korrekte Übersetzung angewiesen ist, bedeutet eine ungenügende Übersetzung eine massive Einschränkung seiner Verteidigungsmöglichkeiten und Rechte.

Nach gut eineinhalb Stunden war der erste Prozesstag bereits zu ende. Die Hauptverhandlung wird am 03.05.16 fortgesetzt.

Vom Solidaritätskomitee wurde im Anschluss des Prozesses in der Celler Innenstadt eine Kundgebung abgehalten auf der das Vorgehen der deutschen Behörden gegen die kurdische Gemeinschaft in Deutschland kritisiert wurde und die Einstellung aller Verfahren gefordert wurde.

Tuğba Ezer äußerte sich dahingehend, dass die kurdische Gemeinschaft in der Türkei angesichts des Krieges der türkischen Regierung gegen sie ausgesprochen enttäuscht sei, wenn die deutsche Regierung allen Vorgaben der Türkei folgt und auch hier kurdische Politiker verfolgt.

Weitere anberaumte Prozesstermine:

Jeweils um 9.15 Uhr im OLG Celle, Saal 94 (Schlossplatz 2, Eingang Kanzleistraße, 29221 Celle)

im Mai: 03.05.16, 13.05.16, 17.05.16, 20.05.16, 24.05.16, 27.05.16,

im Juni: 03.06.16, 07.06.16, 10.06.16, 14.06.16, 17.06.16, 21.06.16, 24.06.16, 28.06.16,

im Juli: 01.07.16, 05.07.16.

Für eine Anreise vom Hannover Hbf bietet sich der Metronom um 7.40 Uhr oder die S-Bahn um 8.04 Uhr an.

Weitere und fortlaufende Infos zu dem Verfahren gegen Mustafa Çelik sowie den anderen § 129b StGB-Verfahren gegen kurdische Aktivist*innen: https://freiheit.blackblogs.org

Pressekontakt des Solidaritätskomitees:

NAV-DEM Hannover

nav-dem_hannover@posteo.de

015213381093

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