Prozessprotokoll vom 16. Verhandlungstag 10.02. 2017 gegen Ali Hıdır Doğan

24thFeb. × ’17

Protokoll Prozess gegen Ali Hıdır Doğan – 10.02.2017 – Turmstr. 91 – Saal 501

Anwesend sind: 2. Strafsenat (R1-R5), GStA, GStAin, Gerichtsprotokollantin, V1, V2 wird heute durch einen anderen RA vertreten, A, Dol, 1 Pressevertreter, 3 Justizbeamte, 3 solidarische Prozessbeobachter_innen

Die Prozessbeobachterin betritt den Saal ca. fünf Minuten nach Verhandlungsbeginn.

Es wird eine DVD „Stichwort: Leichentransport Cizre“ am Richter_innenpult in Augenschein genommen. Darin wird von einem EU-Kommissar thematisiert, dass Zivilist_innen bei dem Abtransport von Leichen unter Beschuss geraten seien.

R1 erklärt, dass die Strafanzeige gegen Recep Tayyip Erdoğan im Selbstleseverfahren (SLV) in die Hauptverhandlung eingeführt werde. Auf Nachfrage wird festgestellt, dass A bereits die Kopien erhalten habe. Die Strafanzeige umfasse circa 200 Seiten, wovon dem A bereits 15 übersetzt worden seien. R1 weist darauf hin, dass die Übersetzung etwas zügiger erfolgen sollte. Dol erklärt, dass die Übersetzung im SLV ja nicht mache und daher keinen Einfluss darauf habe.

R1 fährt fort mit der Einführung von allgemein gültigem Stoff:

R2 verliest: [nachfolgend konnte nur bruchstückhaft protokolliert werden]

  1. Die Namensgeberin für das Zîlan-Frauen-Festival sei die Kurdin Zeynep Kınacı, welche sich unter türkische Soldaten gemischt und diese getötet habe.
  2. Weiterhin gehe das Mazlum Dogan Jugend- und Kulturfestival auf Mazlum Dogan zurück, […] welcher sich nach dem Putsch in der Türkei 1980, im Jahr 1982 selbst getötet habe.
  3. Am 15.07.2016 sei es in der Türkei zu einem Putschversuch gekommen, welcher am 16.07.16 niedergeschlagen habe werden können. Danach seien tausende Richter und Staatsanwälte abgesetzt worden, da ihnen Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen worden sei.
  4. Nach dem Putschversuch sei der Ausnahmezustand für drei Monate in der Türkei ausgerufen worden, wodurch Rechte wie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit beschränkt würden.
  5. Es seien linke und prokurdische Medien geschlossen worden und tausende Menschen festgenommen worden.
  6. Die Ko-Bürgermeisterin (HDP) von Diyarbakir sei ebenfalls festgenommen worden.
  7. Es sei zu Ausschreitungen in kurdischen Gebieten gekommen. Diese seien unter Zwangsverwaltung gestellt worden.
  8. Durch den Ausnahmezustand seien auch die Rechte inhaftierter Terrorverdächtiger beschränk.
  9. Es seien mehr als 40 000 Menschen festgenommen worden, auch Journalisten der Cumhürriyet.
  10. Elf Mitglieder der HDP seien am 11.11.16 festgenommen worden. Bereits im Mai sei die Immunität der Parlamentsabgeordneten der HDP aufgehoben worden.

R1 verliest das Begleitschreiben des Urteils des Verfahrens gegen KA:

  • Das Urteil des Hanseatischen OLG vom 03.08.16 sei noch nicht rechtskräftig, da KA in Revision gegangen sei. KA befinde sich noch in Untersuchungshaft.
  • Das Urteil des 3. Strafsenats laute für KA wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.
  • KA habe erst als hauptamtlicher Kader einer auf Mord und Totschlag ausgerichteten Vereinigung im Ausland den Sektor Süd 1 in Deutschland geleitet. Danach sei er nach Schweden gegangen, danach sei er in Deutschland für den Sektor Nord und dann für den Sektor Mitte zuständig gewesen.

V1 widerspricht vorsorglich dem Eingang des Urteils in die HV, da das Urteil nicht rechtskräftig sei. R1 erklärt daraufhin, dass er viel verlesen könne, was nicht rechtskräftig sei. Welchen Beweiswert das dann habe, sei eine andere Frage.

R1 weist dann noch auf Schreibfehler in den Dokumenten im SLV hin und korrigiert diese.

Anschließend werden Wortprotokolle der TKÜ des A durch R1 verlesen [hier ist im Protokoll immer von A als einer der Gesprächspartner die Rede, dies stellt die Auffassung der GStA dar, eigentlich müsste es „vermeintlicher A“ heißen]:

  1. Gespräch zwischen A und S. Yıldırım (SY) (männlich) auf Türkisch. Inhaltlich ging es darum, dass etwas entladen werden müsse und dass darum gebeten wird, dass jemand dafür runter geschickt werden würde.
  2. Gespräch zwischen A und unbekannter männlicher Person auf Türkisch. Inhaltlich: Verabredung, A wolle Telefon des anderen anklingeln, wenn er angekommen sei.
  3. Gespräch zwischen A und unbekannter männlicher Person auf Türkisch. Inhaltlich: A fragt nach einer Hausnummer, das richtige Haus wird gesucht, läuft Straße entlang, der Name an der Klingel wird genannt.
  4. Gespräch zwischen A und Z. Demirkol auf Türkisch. Inhaltlich: A fragt, wo ZD sei, dieser komme gleich, er solle in die Institution kommen.
  5. Gespräch zwischen A und Süzem (?) auf Türkisch. Inhaltlich: S sagt, er gehe zur Demo, A sagt, dass sie sich dann sehen würden.
  6. Gespräch zwischen A und Alem auf Türkisch. Inhaltlich: Frage, ob die Demo zu Ende sei, verneint, habe keine Probleme gegeben, Alem und andere würden nach Wedding kommen.
  7. Gespräch zwischen A und SY auf Türkisch. Inhaltlich: eine Verabredung.
  8. Gespräch zwischen A und C (?) auf Türkisch. Inhaltlich: Frage nach einem Y. und ob dieser zum Verein komme.
  9. SMS, Anschlussinhaber AY, „transaction completed“, Wortprotokoll auf Kurdisch.

V1 widerspricht der Verwertung dieses Protokolls, da die Gerichtssprache Deutsch sei und der Vorsitzende R1 aber „transaction completed“ vorgelesen habe.

R1 stellt fest, dass der Termin zur Aufnahme der Hörprobe erfolgreich verlaufen sei. Die Gutachterin wolle Mitte Februar Bescheid geben, ob das Gutachten Ende Februar fertig sei.

R1 erklärt weiterhin, dass aus Sicht des Senats für den heutigen Verhandlungstag nichts weiter vorgesehen sei. Es seien noch zwei Beweisanträge offen, diese seien aber bereits vorbesprochen. R1 weist nochmals darauf hin, dass die Beteiligten jederzeit auf Schlussvorträge vorbereitet sein sollten.

Der nächste Verhandlungstag sei der 28.02.16.

V1 erklärt, dass die V noch Beweisanträge zu stellen habe. R1 sei überrascht davon. V1 erklärt, dass nochmal ein Thema aufgetaucht sei, dass ihnen – der V – sehr am Herzen liege. [Anmerkung: Die folgenden Anträge konnten nur bruchstückhaft protokolliert werden]

V2 verliest den ersten Antrag: Beantragt werde den Sprachsachverständigen in der HV zu vernehmen. Das türkische Wort „arkadaş/arkadaşlar“ bedeute „Freund“, die Übersetzung als „Genosse“ sei abwegig. Das kurdische Wort „heval“ bedeute ebenfalls „Freund“, würde hier jedoch meist als „Genosse“ übersetzt. Die Übersetzung sei falsch oder tendenziös, die Anklage und die Beweiserhebung sei dadurch unzulässig beeinflusst worden. Zumindest hätten die alternativen Übersetzungsmöglichkeiten aufgeführt werden müssen. Weiterhin sei es nicht möglich im Türkischen zwischen respektvoller Anrede oder Pluralanrede zu unterscheiden. In der Anklageschrift gebe es mehrere Stellen, wo dadurch auf eine höhere Stellung des A gegenüber dem AY geschlossen worden sei. In den protokollierten Gesprächen seien sowohl der vermeintliche A und der AY nicht allein unterwegs gewesen. Der Begriff des Freunds sei im Türkischen auch weiter gefast als im Deutschen. „Genosse“ bezeichne im Türkischen Menschen mit gleicher Weltanschauung. Das in den SMS (zum Thema Finanzen) zwischen A und AY verwendete Wort „arkadaş“, was als Genosse übersetzt worden sei, sei also nicht dazu geeignet, um die Einbindung der beiden in eine hierarchische Struktur zu belegen. Diese Interpretation des Übersetzers finde sich an mehreren Stellen und lasse daher Zweifel an der Unabhängigkeit des Übersetzers zu.

2. Die Beiziehung der Akten der Verfahren gegen Baydimir (?) und andere vor dem Schwurgericht in Dıyarbakır sei abgelehnt worden. In den Verfahren sei tausenden Personen die Mitgliedschaft in der KCK vorgeworfen worden. Gegen 46 Anwält_innen und deren Angestellte sei ein Prozess eröffnet worden. Bei diesen Anwält_innen habe es sich um solche gehandelt, die politische Mandate angenommen hatten. Viele der in den damaligen Ermittlungen beteiligten Polizist_innen, Staatsanwält_innen und Richter_innen seien nun selbst angeklagt wegen Urkundenfälschung etc. Beantragt werde nun von der V die Rechtsanwältin Franziska N. als Zeugin zu laden. Sie habe seit 2010 das Verfahren beobachtet, von dem 10000 Menschen betroffen seien.

3. Die Ladung von Dirk M. über das Bundesamt für Justiz werde beantragt. Seit 2011 habe keine Überprüfung des Vorhandenseins der Voraussetzungen zur Erteilung der Verfolgungsermächtigung mehr stattgefunden. Es sei an dem sogenannten Flüchtlingspakt festgehalten und ignoriert worden, dass die Kurd_innen sich für die Demokratisierung der Türkei eingesetzt hätten, so sei die Verfolgungsermächtigung erteilt worden. Es solle überprüft werden, ob die Verfolgungsermächtigung willkürlich erteilt, nämlich nicht gemäß der Anforderungen sondern nach außenpolitischen Erwägungen, worden sei.

Der GStA erklärt, bei Letzterem handele es sich um einen Beweisermittlungsantrag.

Die Verhandlung wird für 10 Minuten unterbrochen.

Alle Prozessbeteiligten treten wieder in den Saal ein. R1 erklärt, dass der nächste Verhandlungstag der 28.02.17 ist, die Verhandlung finde im Saal 701 statt.

Die Verhandlung wird für diesen Tag geschlossen.

 

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