Letzter Prozesstag von Hidir Yildirim – 1 Jahr und 9 Monate Haft mit Haftverschonung

11thJan. × ’18

Protokoll – Prozesstag XV

1. Beweisaufnahme

Ein Nachtrag zum letzten Wort des Angeklagten wird von Ri 1 vorgehalten. Dies wurde verfasst aus Angst, dass das letzte Wort falsch verstanden wurde.

Es stimme, dass der Angeklagte das Verfahren für eine Ungerechtigkeit halte. Es sei missverständlich warum Deutschland einen Staat schützt, der die Menschenrechte nicht einhält. Er habe nur das Interesse zu arbeiten und sich um seine Gesundheit zu kümmern. Er würde gern nach Hamburg um zu seiner Familie zu ziehen.

Das letzte Wort wird als Einlassung im Rahmen der Beweisaufnahme gewertet.

Alle erhalten nochmal die Möglichkeit des letzten Wortes. Alle beziehen sich auf das zuvor Gesagte.

Unterbrechung bis 10.15.

2. Urteil

1 Jahr und 9 Monate

Beschlüsse:

– Haft bleibt aufrechterhalten

– U-Haft wird beendet

– Angeklagter soll sich bei der Meldebehörde in seinem neuen Wohnort melden

– 2 x wöchentlich bei Polizeidienststelle melden

– gesetzliche Entschädigung wird aus Staatskasse gezahlt gem. § 220 Abs. 3 StPO

Begründung:

Vorbemerkung: Seit Mitte 2016 ist das hiesige Verfahren das dritte und letzte.

Ri 1 geht auf seine Lebensgeschichte in Deutschland ein.

Feststellung zur Sache: Eingehen auf den türkisch-kurdischen Konflikt und dessen Geschichte, Gründung der PKK 1978, 1984 Guerillakampf begonnen, 2007 und 2015 KCK gegründet und ab da Mischung aus Verfassung und Parteiprogramm, Öcalan ist weiterhin Führer, der die letzte Entscheidung trifft. Trotz folgenden Namenswechsel bleibt die Struktur gleich.

Die Parallelen zu den Verfahren in der Türkei in dem letzten Wort der Verteidiger lägen neben der Sache, nicht alle Kurden hier werden verfolgt, sondern nur ein kleiner Kreis von 34 Personen (30 Gruppenleiter und 4 Sektorenleiter) die Top-Funktionäre der PKK in Deutschland.

Die Anträge der Verteidigung waren langatmig und nicht zielführend. Es wurden alle beschieden.

Das Strafmaß liegt am unteren Rand des Möglichen des § 129b StGB.

Zur Sache:

Es wird auf das Alevit-Sein und Kurde sein in der Türkei eingegangen.

Es habe zwischen März 2004 undMärz 2014 mehr als 80 Anschläge und Sabotageakte in der Türkei gegeben mit mehr als 130 Toten und 130 Verletzten zu denen sich die die HPG begangen habe, was der PKK zuzurechnen sei.

Der türkische Staat hat dagegen über 1000 kurdische Dörfer zerstört, die Zivilbevölkerung wurde zwangsumgesiedelt, es wurden chemische Kampfmittel eingesetzt und es fanden illegale Hinrichtungen statt.

Seit 2004 bis jetzt wird systematisch gefoltert.

3 PKK-Aktivistinnenwurden in Paris ermordet, wobei noch unklar sei ob die PKK dafür verantwortlich gewesen sei.

zum Alevit-Sein in der Türkei: Massaker von 1938, 1978 und 1993 werden genannt, Aleviten sind in Regierung, Parlament und Verwaltung unterrepräsentiert.

Zur Struktur der PKK in Westeuropa: Es wurden viele Strukturen wegen der Verfolgung in der Türkei nach Deutschland verlegt, da dort viele Anhänger waren

Zur Annäherung 2010/2015:

2013 gab es die dritte Verhandlungsphase unter Hinzuziehung der BDP (heute HDP)

Die Proteste nach dem Tod von Sakine blieben generell friedlich.

Es sei nicht zu klären wer für den Abbruch der Verhandlungen im Juni/Juli 2015 verantwortlich war. Nach dem hohen Wahlausgang für die HDP in 2015 wurden 2 Polizisten in Suruc ermordet und es gab keine Verhandlungen mehr. Anschläge nahmen zu.

Für diese Beweise dienten die Gutachten von Dr. Posch (????) und Urkunden als Grundlage.

Auch wenn die PKK an Verhandlungen teilgenommen hat, bleibt sie dennoch eine terroristische Vereinigung.

2014 gab es 4 Anschläge mit Toten. Dass es keine Anschläge in der Tatzeit gab, ist für die Anklage gem. § 129b StGB irrelevant, da es keine tatsächlichen Begehungen von Bezugstaten bedarf. Dies beweise der Wortlaut des § 129b.

Die PKK habe sich in die Berge zurückgezogen ab 2015. Nach dem Ende der Friedensverhandlungen gab es vermehrt Anschläge.

Zur PKK in Deutschland:

Sektorenleiter waren zu Berichten verpflichtet. Für sie waren die Gebietsleiter zuständig.

Im Tatzeitraum gehörte der Angeklagte zum Gebiet Sachsen, Sektor Nord.

Zur Identifizierung des Angeklagten:

Die Obversationen haben ergeben, dass der Angeklagte der Nutzer der Telefonnummer ist, deren Gespräche abgehört wurden. Auch das Auto und dessen Personalien haben das ergeben. Sein Spitzname war Piro.

Zentraler Punkt der Beweisaufnahme war, ob er der Gebietsleiter Sachsens war.

Das Gericht hat keine Zweifel, dass er die Funktion von September 2013 bis April 2014 ausgeübt habe. Nahc der Erkrankung des vorigen Gebietsleiters habe er die Funktion übernommen.

Der Senat geht nicht davon aus, dass es bei dem Wort Tekmîl einen Übersetzungsfehler gegeben hat. Gegen die Annahme, dass Tekmîl als Kritik und Selbstkritik zu verstehen sei, spricht, dass der Angeklagte und der Sektorenleiter kein gutes Verhältnis zueinander hatten.

Zudem habe keine bewusste Falschübersetzung durch die BKA-Beamten erfolgt, da dies ja durch die Protokolle nachweisbar wäre.

Zum zeitlichen Ablauf:

Der Angeklagte hatte viele Kontakte zu anderen Kadern, als auch zu Gruppenleitern und Gebietsleitern. Vielleicht habe der Angeklagte auch einfach Pech gehabt und habe zur falschen Zeit die falschen Leute gekannt.

In dem Tatzeitraum habe er ein kurdisches Kulturfest mitorganisiert, Busse für Demonstrationen in Paris organisiert und das Newrozfest in Düsseldorf unterstützt. Zudem habe er sich in Brüssel aufgehalten, wo das europäische Zentrum der PKK sei. Den Ri 1 lässt es nicht in Ruhe, dass der Angeklagte einen Dienstwagen hatte mit einer sehr hohen Kilometerzahl.

Aussagen des Angeklagten zu seinem „Rausschmiss“ würden auch die Gebietsleitertätigkeit bestätigen, wie die Aussage: „Sie schicken mich immer wieder in den Osten, ich will in den Westen.“

ENDE der Beweisaufnahme.

Zur rechtlichen Bewertung:

Es gibt ein Recht auf politische Teilhabe und die Aktivitäten wirkten auch harmlos, aber sie werden durch die Verknüpfung zur Gebietsleitertätigkeit der PKK strafbar. Neutrale Handlungen können strafrechtlich relevant und strafbar sein, so ist es auch hier.

Zur Mitgliedcschaft in der PKK:

Die PKK wird gem. § 129b i.V.m. § 129a StGB als terroristische Organisation im Ausland eingestuft. Dies folge daraus, dass eine einheitliche Willensbildung möglich sei, da die PKK von oben aus organisiert werde. Der Auslandsbezug wird durch ihre Tätigkeit in der Türkei hergestellt und die Terrorismuseigenschaft durch Mord und Totschlag anderer Menschen.

Auch der Waffenstillstand ändert an dieser Einstufung nichts. Der Angeklagte sei Mitglied gewesen als Gebietsleiter. Zudem war sein Handeln rechtswidrig, da es keine Rechtfertigungsgründe für den § 129b StGB gebe. Die gem. § 129b Abs. 1 S. 3 notwendige Ermächtigung habe vorgelegen.

Strafrahmen:

§ 129a VI StGB sei nicht einschlägig, da keine geringe Schuld vorläge.

Das Strafmaß liegt bei einem Jahr und neun Monate, was nicht auf Bewährung auszusetzen sei, da keine besonderen Umstände i.S.d. § 56 StGB vorlägen

Zur Begründung der Haftentscheidung wird ausgeführt, dass ein dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr besteht, da keine soziale Anbindung vorläge. Die U-Haft müsse allerdings nicht weiterverfolgt werden, sodass vorerst keine Haft mehr besteht.

Ri1 wendet sich direkt an den Angeklagten: Zeigt Verständnis für die schwere Zeit und wünscht ihm für die Zukunft alles Gute.

Der Angeklagte wird über die Möglichkeit Rechtsmittel einzulegen belehrt.

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