Protokoll: X. Verhandlungstag im §129b-Prozess gegen Hıdır Yildirim

27thNov. × ’17

Anwesend: 2. Strafsenat (R1, R2, R3), StA, Verteidigung (V1), Hıdır Yildirim (HY), Dolmetscher, Protokollantin, Prozessbeobachter*innen, Presse, Justizbeamt*innen, später eine zweite Dolmetscherin als Sachverständigerin (D)

Es werden 12 Mittschnitte von Telefongesprächen HY abgespielt.

  • Verlesen des Amtsblattes vom 13.12.2002:
    • Standpunkt des Rates zur Anwendung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus
    • Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus
    • angehängte Liste mit aufgeführten Personen/Parteien/Gruppen → Punkt 14: kurdische Arbeiterpartei PKK
  • rechtliche Hinweise

Die Verteidigung stellt folgende Anträge:

  1. Antrag:
    • Verlesen von Auszügen aus Sakines Biografie “Mein ganzes Leben war ein Kampf” Band 2
      • Begründung für das Verlesen: Repression und Kriminalisierung des türkischen Staates gegen Kurd_Innen und der kurdischen Bewegung
      • Der türkische Staat bekämpfte die PKK woraufhin die PKK den bewaffneten Kampf als Verteidigung aufnahm
      • Der türkische Staat nahm mit auf die Vernichtung der kurdischen Bewegung abzielend den Krieg auf
      • seit 1980 wurden rund 45.000 Personen festgenommen
      • 1980 putschte das Militär in der Türkei und versuchte die Gesellschaft zu säubern und damit zu entpolitisieren
      • 171 Menschen sind durch Folter ermordet worden
      • 1991 wurde das Verbot der kurdischen Sprache aufgehoben, dennoch wurde weiterhin PolitikerInnen ihre Arbeit verboten
      • mehrere JuristInnen, LehrerInnen, PolitikerInnen und weitere wurden entlassen und festgenommen, davon waren nicht alle KurdInnen, dennoch waren übermäßig viele davon betroffen
      • zu der Zeit gab es eine starke Einwanderungsbewegung nach Deutschland
      • 1979 wurde Sakine Cansiz kurz vor dem Militärputsch inhaftiert
      • die Autobiografie Sakine wird als ein Beispiel für die Verfolgung von AktivistInnen der kurdischen Bewegung herangezogen
      • Verfolgung- und Foltergeschichte linker kurdischer Oppositioneller u.a. aufgrund ihrer kurdischen Identität
      • Stellen aus dem Buch werden verlesen: Situtation und Folter im Gefägnis; Rückzug aus der Türkei nach Europa und Libanon; Verlegung Sakines ins Gefägnis in Amed; Verfolgung KurdInnen wegen Identität
      • (anderes Kapitel) geht es um Prozessvorbereitung in der Türkei: findet abgekapselt von draußen statt, Folter intensiviert sich, Isolation, auch im Gerichtssaal Schläge und Tritte
      • psychologische Kriegsführung soll den Widerstand brechen
      • Kinder im Gefängnis von Amed
  1. Antrag:
    • Zeugen einladen und vernehmen zum Umgang des türkischen Staates mit der kurdischen Bewegung
      • Zeuge Elmar(?) saß 1980-1991 im Gefägnis, 9 Jahre davon in Diyabakir (Amed): kann Folter bezeugen und dass vor allem die Menschen dort politischen Gefangenen waren
      • Dorfvernichtungen und Verbot der kurdischen Sprache
      • → dadurch wird Senatsverwaltung sehen, dass der Kampf der PKK legitim im Sinne der Abwehr bzw. Selbstverteidigung ist
  1. Antrag:
    • Richter Kirschbaum (?) laden als Zeuge und zu vernehmen
      • ist Richter der 27. Strafkammer am Landgericht Frankfurt
      • Verfahren zu Kader in Gebiet Sachsen und Kassel
      • Zeuge wird bekunden, dass Herr Erold (?; damals Angeklagter) verurteilt wurde zu Geldstrafe und Tagessätzen

R1 weist [sichtlich genervt] darauf hin, dass es auch die Möglichkeit des Selbstleseverfahrens gäbe und Anträge auch schriftlich eingereicht werden könnten.

Die Verteidigung setzt ihre Antragstellung fort:

  1. Antrag:
    • Sachverständiger wird nachweisen die strategische Entscheidung mit Ziel auf baldige Beendigung: Ziel Verhandlungsprozess/Friedensprozess jegliche Kampfhandlung zu beendigen (HPG/KCK/PKK)
  2. Antrag:
      • Zeuge laden und vernehmen Hatip Dicle:
        • kurdischer Politiker (HEP/ DEP/ BDP)
        • in Amed geboren
        • erzählt zu Waffenstillstand und Friedensprozess
        • zu Inhalt und Verlauf der Friedensverhandlung
        • ist 15 Jahre inhaftiert worden und dann nach Deutschland geflohen
        • Ziel (seitens PKK) der Friedensverhandlung: umfassende Demokratisierung der Türkei, Erdogan einseitig und umfassenden Prozess für beendet erklärt
        • gehe um endgültigen Frieden und der kurdischen Frage → Arbeit an bedingungslosem Frieden
        • HPG Einheiten Anweisung keine weiteren Waffenhandlungen, rein demokratische Aushandlung (Gespräche im Kandil)
    • Begründung für den Antrag:
        • das Gerichtsverfahren baut auf der Annahme auf, dass Aktivitäten der PKK auf Mord und Totschlag aus seien
        • während den Friedennsverhandlungen verfolgten Tätigkeiten eine strikte Friedenslinie und nicht auf Krieg und bewaffnete Auseinandersetzung sowie Mord und Totschlag aus
        • dauerhafte Friedenslösung anstreb(t)en
        • Erklärung zu einzelnen Aktivitäten und Straftaten der HPG zu der Zeit
        • für die Anklage müsse ein gemeinsamer Wille von Begehen von Straftaten gegeben sein und nicht nur vage nicht gegeben sein
        • Charakter einer Gruppierung kann sich wandeln
        • Zweifel und Hinterfragen der PKK als terroristische Vereinigung, da sie nicht auf Begehung von Mord und Totschlag/Tötung ausgelegt ist, auch nicht zum Zeitpunkt des Friedensprozess
        • Aufnahme von bewaffneten Kampf durch KCK und totale Beendigung des Friedensprozesses durch Türkei hätten Beendigung sein müssen, um PKK als terroristische einzustufen
        • April 2013 auch Europarat PKK/KCK nicht als terroristisch eingestuft
        • Verfolgung der PKK ist politisch motiviert
  1. Antrag:
    • als Zeugen Vertreter/ Teilnehmer des Europarats einzladen und Artikel zu verlesen:
      • Pkk nicht mehr als terroristische Vereinigung
  2. Antrag:
      • Verfahren aussetzen und europäischen Gerichtshof heranziehen
          • ist Anwendung 129b während Krieg anwendbar/ zu vereinbaren
          • → Begründung belgische Berufungsgericht 2017 → Verlesung wird beantragt
          • PKK sei eine Partei in Kriegskonflikt bzw. Streitkraft im bewaffneten Konflikt und nicht terroristische Vereinigung (nach Völkerrecht)
          • PKK 2009-2015 Freidensverhandlung geführt
          • Ministerrat entscheidet wer auf die Liste kommt
          • Antrag auf Verfahrensaussetzung bis entschieden ist
  1. Antrag:
      • KCK als Dachverband
          • gab/gibt viele Mitglieder, die sich in allen Gesellschaftsschichten wiederfinden → werden kriminalisiert, viele sind in Haft (HDP Mitglieder, JornalistInnen, LehrerInnen, PolitikerInnen etc.)
          • Hunderttausende in KCK, hier und in der Türkei
          • mit dem Verbot werde eine demokratische Bewegung verboten
          • KCK Vorwurf auf terroristische Vereinigung mit Abzielen auf Mord und Totschlag nicht haltbar

Der StA gibt jeweils eine kurze Erklärung zu den einzelnen Anträgen ab:

  • zu 1. historische Ereignisse und Geschichte von PKK und sowie das Vorgehen von der Türkei sind gerichtsbekannt
  • zu 3. (Vernehmen des Richters Kirschbaum (?))) sei schon Aktenkundig, die Vernehmung und Ladung des Zeugens wird für nicht geboten gesehen
  • zu 6. und 7. bereits Gegenstand von Beweisaufnahme; Vorlage nicht für geboten daraus folgt auch nicht die Aussetzung

[… vieles was der StA sagt ist aufgrund der Aktustik nicht verständlich, aber alle Anträge werden von ihm abgelehnt]

PAUSE

Es wird mit der Befragung einer Dolmetscherin für türkisch-deutsch fortgefahren. Sie ist hinzugezogen worden um den Begriff “tek” zu erklären und in diesem Zusammenhang einige mitgeschnittene SMS von HY dahingehend zu übersetzen.

[Die Polizei bringt die Wörter “tek” und “tekmil” in einen Zusammenhang. Dabei wird “tek” als Abkürzung von “tekmil” gesehen. Das Wort “tekmil” wird meist als Bericht über Finanzen oder Aktivitäten übersetzt und oft versucht damit die Mietgliedschaft in der PKK und eine bestimmte Rolle darin nachzuweisen.]

Die Dolmetscherin erklärt im Verlauf der Verhandlung folgendes:

  • Vokabeln auf türkisch für Bericht sind beispielsweise “rapor”
  • zum Antrag von Begriffen aus Gerichtsprotokollen / SMS:1. “tekmili” = kann nicht als Bericht übersetzt werden; aus Kontext hier eher Erinnerung

    2. “tek” = ist ein Adjektiv im türkischen und bedeutet soviel wie einzig, einzigartig, nur etc.

    Es ist keine Abkürzung. Abkürzungen werden im türkischen wenig benutzt.

[…]

Es werden eine Vielzahl an SMS durchgeschaut und die Dolmetscherin übersetzt einzelne Teile daraus bzw. Macht Anmerkungen wie sie Teile übersetzten würde und was dabei beachtet werden müsste.

Die Verteidigung fragt: Wie ist “tek” zu übersetzen? Was hat sie übersetzt?

Die Dolmetscherin merkt dazu an, dass “tek” mit “tekmil” nichts zu tun habe, außer man vereinbare es.

[…]

Der Verhandlungstag ist danach zuende und der nächste findet am 21.11.17 statt.

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