Hidir Yildirim – Verhandlungstag XIV

17thDez. × ’17

Anwesend: Ri 1, 2,3, Verteidiger 1 und 2, Staatsanwalt wird vertreten, Protokollantin

Schlussplädoyer der Verteidigung

1. Schlussplädoyer RA Theune

Thematisch: zum Gesamtvorwurf

– zieht Parallele zum Verfahren in der Türkei gegen Dolu (?): kein Tatvorwurf, Bundesregierung fordert Freilassung, ihm drohen bis zu 20 Jahren Haft, Vowurf: Teilnahme an Demonstrationen, Newroz, Kontakt zu anderen kurdischen Menschen

→ viele Parallelen zum hiesigen Verfahren

Der Tatvorwurf ist, dass der Angeklagte Gebietsleiter in Sachsen gewesen sein soll. Die einzigen Belege hierfür sind Kontakte mit anderen Aktivisten, die teilweise bereits verurteilt wurden.

Die Telekommunikation ist für den Tatnachweis unergiebig.

Der Vorwurf Berichte in Sachsen geschrieben zu haben stützt sich darauf, dass Tekmîl gemacht wurde. Dies ist jedoch das Verfahren von Kritik und Selbstkritik. Der Vorwurf des Senats, dass das Wort Tekmîl als Deckname für Report verwendet wurde, ist nicht nachvollziehbar, da in der Kommunikation auch das Wort Report fiel und die Berichte, die gefunden wurden monatlich geschrieben wurden. Die Aufforderung in der Kommunikation Tekmîl zu machen kam jedoch wöchentlich.

Es spricht nicht viel dafür, dass der Angeklagte tatsächlich Gebietsleiter war. Dies wird angenommen da ein anderer Gebietsleiter zuvor in Sachsen aufgehört hatte. Es ist eher naheliegend, dass in den Osten weniger Leute wollten, sodass er ab und zu dort hinfuhr.

Das Verfahren weist keine Ähnlichkeit zu einem ähnlichen Verfahren vor 2 Jahren auf, wo es um die Gebietsleitertätigkeit in Sachsen ging.

Es gibt keine gerichtlichen Erkenntnisse darüber was ein Gebietsleiter ist. Wenn man es googelt erfährt man, dass die Verantwortlichkeit für den eigenen Bereich für eine Gebietsleitereigenschaft spricht.

Im Hauptverfahren hat sich der Vorwurf Gebietsleiter zu sein nicht bestätigt.

Thematisch: Zur Strafzumessung:

Es wird auf die Vergangenheit/Kindheit des Angeklagten Bezug genommen. Er ist als Alevit und Kurde in Dersim in den 70ern aufgewachsen. Damals gab es keine Möglichkeit über das Massaker von 1938 und die Vergangenheit der in Dersim lebenden Menschen zu sprechen. Zudem wurde die Sprache verboten.

In den 70ern hat sich, wie in anderen Ländern auch, in der Türkei eine starke linke Bewegung herausgebildet, der es darum ging gegen Unrecht einzuschreiten. In der Zeit waren Aleviten besonderer Gewalt von Faschisten ausgesetzt. Es waren jedoch die Linksradikalen die eingesperrt wurden und im Knast gefoltert wurden sowie täglich die türkische Nationalhymne singen und „Ich bin Türke“ sagen mussten.

Es wird Bezug genommen auf das Massaker in Maras und Sivas, bei denen eine große Anzahl von Aleviten von Sunniten ermordet wurden, weil sie Aleviten waren. Ihre Häuser wurden mit roten Kreuzen markiert um sie daraufhin nachts ermorden zu können.

Aus Sicht der StA und des Gerichts wird -unter Bezugnahme auf die Aussagen des Kronzeugen Beckers- angenommen, dass der beschriebene historische Hintergrund für die Gründung der PKK 1978 irrelevant sein.

Der Angeklagte ist als Kurde und Alevit doppelt von der Unterdrückung und Verfolgung betroffen.

Auch der Verteidiger sieht die Organisierung in der Opposition gegen die Türkei als moralisch denkender Bürger als logisch an.

In dem Tatzeitraum von September 2013 bis Anfang Mai 2014 gab es in der Türkei keine der in § 129a I genannten Taten durch die PKK. Zudem wird die Beweisaufnahme kritisiert, welche sich auf Medienbeiträge stützt, da es sich um Quellen des türkischen Staates handelt. Das Gericht verzichtete auf eine eigene Beweiserhebung.

Auch in Rückblick auf vorige Verfahren im Zusammenhang mit der PKK stellt dieses Verfahren ein Novum dar, da eine Organisation als terroristische Organisation angesehen wird ohne terroristische Taten begangen zu haben. Das Gericht würde die PKK solange als terroristische Organisation ansehen bis sie bedingungslos die Waffen niedergelegt hat.

Thematisch: Zu dem Vorwurf der Gebietsleitung in Sachsen

In den neuen Bundesländern gibt es einen Ausländeranteil von 2 %. Wie viele davon Kurden sind ist nicht bekannt.

Der Angeklagte hat selbst nicht mehr an seiner Arbeit festhalten wollen, er wollte aufhören. Ab April 2014 war er nicht mehr beteiligt. Das Gericht wertet Nachrichten, die er aus Rojava von einem dort tätigen Arzt bekommen hat als weiteren Beweis der Beteiligung in der PKK. Dies ist jedoch nur eine Informationsquelle zu aktuellen politischen Ereignissen.

Strafmildernd zu berücksichtigen seien auch die Haftumstände des Angeklagten. Über den in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel wird erschreckend berichtet, dass er in Isolationshaft ist. Genau dies geschieht auch mit dem Angeklagten.

Des Weiteren sei zu berücksichtigten, dass der Angeklagte keine Vorstrafen habe und die PKK die gleichen Ziele verfolge wie die EU bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert hat.

Das Zeigen der Reue ist laut BGH keine notwendige Voraussetzung iSd § 56 II StGB um Bewährung anzunehmen.

Die Tatsache, dass der Angeklagte 2015 in die Türkei reiste, sei auch ein Indiz, dass er kein Kader ist, da diese wegen erwarteter Verfolgung nicht in die Türkei reisen.

Thematisch: Zur PKK

Nach dem Brüsseler Urteil ist eine Vorlage vor den EuGH gem. Art. 267 AEUV zu fordern. Dass es in Deutschland eine Verfolgungsermächtigung des Bundesjustizministerium gibt verstößt gegen das Prinzip der Gewaltenteilung, da hierdurch die Unabhängigkeit der Gerichte durch die Entscheidungskompetenz der Exekutive übergangen wird. Dadurch betreibt das Bundesjustizministerium Außenpolitik durch die Gerichte.

Die Bewegung will Selbstverwaltung und die YPG strebt an, in die syrische Armee aufzugehen. Sie möchte also Teil der Bevölkerung werden.

Der Verteidiger geht chronologisch auf die Friedensverhandlungen ab 2012 ein.

Schlussanträge: Falls der Senat meint der Beweis sei geführt worden, wird die Aussetzung der Strafe auf Bewährung gefordert. Die Verteidigung fordert Einstellung gem. § 260 III StPO, da kein Tatnachweis erbracht wurde, dass der Angeklagte Gebietsleiter war. Es ist folglich Freispruch zu fordern, da sich die Vereinigung deren Mitgliedschaft dem Angeklagten vorgeworfen wird, in Friedensverhandlungen befindet und demnach keine Taten der §§ 129a, b StGB begangen wurden.

Zu dem Vorwurf des StA, dass das Lachen des Angeklagten im Zusammenhang mit der Rede von Cemil Bayik als Zustimmung zum „Läuten der Kriegsglocken“ zu werten ist, erwidert die Verteidigung dass dies ein ironisches Lachen aus Verzweiflung sei.

2. Schlussplädoyer RA Kuhn

Ergänzend zur Rede des anderen Verteidigers:

– PKK wird als funktionaler Begriff verstanden und verwendet

– der deutsche Staat stellt sich auf Seite des Unrechts indem er den türkischen Staat unterstützt

– im deutschen Strafrecht geht es nicht um die Verfolgung von Außenpolitik, weshalb die Verfolgungsermächtigung nicht angewendet werden kann

– die außenpolitischen Interessen können nicht auf dem Gebiet des Strafrechts ausgefochten werden

– die PKK nimmt an Verhandlungen als politische Instanz teil, weshalb die taktischen Gründe von Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu berücksichtigen sind

– aus einem BGH-Urteil zur Anklage gemäß § 129b ergeht, dass der Vorbehalt Taten aus § 129b zu begehen, nicht genügt

Strafzumessung

Strafmildernd zu berücksichtigen: kurzer Tatzeitraum, keine Vorstrafen, keine Bezugstat, Friedensbewegung, er hat eingestanden als „Pir“ bezeichnet zu werden, 10 Monate U-Haft

Das Gericht muss unabhängig entscheiden, weshalb keine Bezugnahme in der Strafzumessung auf Urteile des OLG Hamburg oder Frankfurt erfolgen sollte

beantragt wird: Freispruch, falls Tatnachweis laut Gericht erbracht wurde 1 Jahr und 3 Monate auf Bewährung wobei die U-Hat anzurechnen wäre

3. Letztes Wort des Angeklagten

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