Bericht vom 4. Prozesstag gg. Mustafa Çelik (17.05.16, OLG Celle)

19thMai. × ’16

Prozessbericht des Solidaritätskomitees für die politischen Gefangenen Celle/Hannover

Verfahren vor dem OLG Celle gegen Mustafa Çelik wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§§ 129a, 129b StGB) vom 17.05.16 – 4. Prozesstag

 

Am 17.05.16 wurde der Prozess gegen Mustafa Çelik vor dem 4. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle fortgesetzt.

Die umfangreichen Kontrollen der Zuschauer*innen in Form von Personalien­feststellungen und Durchsuchungen wurden auch am 4. Prozesstag unver­ändert fortgeführt.

Bezüglich der unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten gab es keine Verände­rungen.

Nach der Feststellung der Anwesenheit der Beteiligten, wurde ein weiterer Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) in den Zeugenstand gerufen. Am 3. Prozesstag war er bereits als eine Art Schlüsselzeuge angekündigt worden, weshalb seine Befragung länger dauern sollte. Auch er war in dem Ermittlungsverfahren gegen Mustafa selbst nicht tätig. Stattdessen ist er seit Jahren mit der Strafverfolgung vermeintlicher PKK-Aktivitäten betraut und hat als verantwortlicher Sachbearbeiter und später als Sachgebietsleiter diverse Vermerke angefertigt, die Gegenstand seiner Aussage waren.

Dabei ging es u.a. um einen Vermerk von 2011, in dem der Zeuge die Entwicklung der Guerilla- und PKK-Strukturen über Jahre hinweg nachzeichnete. Die PKK wäre nach ihrer Neugründung „keine Partei im klassischen Sinne“ sondern eine „philosophisch-ideologische Organisation“, ein „Think Tank im Sinne Abdullah Öcalans“, der dessen Ideologie weiterentwickele und in das System der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) trage. Ausführlich wurden die verschiedenen Strukturen der KCK dargestellt, v.a. gestützt auf das KCK-Abkommen von 2005. Diese würden staatstypische Formen annehmen; der Kongra Gel entspräche einem Parlament, der KCK-Exekutivrat einer Regierung, die Volksverteidigungseinheiten HPG einer Armee. Die HPG sei der politischen Führung des Exekutivrats unterstellt, wobei der Kongra Gel über die Frage von „Krieg oder Frieden“ entscheide.

Das KCK-System sei die Etablierung des von Öcalan entworfenen Demokratischen Konföderalimus im kurdischen Siedlungsgebiet – Europa werde dabei als „kurdischer Landesteil“ betrachtet. In Europa seien in der Vergangenheit die CDK und der CDK-Volksrat Strukturen nach dem KCK-Abkommen gewesen, derzeit sei es die KCD-E (Demokratischer Gesellschaftskongress – Europa), deren Rat aus 200 Delegierten, dessen Exekutive wiederum aus 40 bis 50 Personen und die engere Führung darin, Koordination genannt, aus fünf bis sieben Personen bestehe. Der Zeuge führte weiterhin die vermeintliche Untergliederung und Teilbereiche der Strukturen aus. Für die Parteigebiete seien jeweils „hauptamtliche Kader“ verantwortlich, die von der PKK alimentiert würden, soweit sie keine staatlichen Zuwendungen erhielten.

Der Zeuge führte länger aus, wie bei einer Razzia 2011 in Belgien in Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen die PKK-Führung in Europa Unterlagen des Finanzbüros sichergestellt worden seien. Einen Teil dieser Unterlagen hätten die deutschen Behörden auf dem Wege der Rechtshilfe übernommen. Diese Unterlagen würden über den Finanzfluss der PKK Aufschluss geben, wobei lediglich etwa 15% der Einnahmen nach Kurdistan transferiert würden und der Rest in Europa verbleibe, um hier Fernsehsender, eine Tageszeitung und Aktivitäten in Europa zu finanzieren. Der Großteil der Einnahmen würde aus Spenden zusammenkommen.

Die Aktivitäten der PKK in Europa weise gewisse Schwerpunkte auf. Demos, Mahnwachen etc. hätten das Ziel die Freiheit Öcalans, die Streichung der PKK von der Terrorliste und die Aufhebung des PKK-Verbots zu erreichen sowie neue Kader zu gewinnen, wofür es extra Veranstaltungen gebe, aber auch die Medien eine bestimmte Rolle spielten und der Jugend eine besondere Rolle zukomme. Die Êdî bese!-Kampange von 2007 (gegen den erneuten Versuch des türkischen Staats die kurdische Bewegung zu vernichten, Anm. Solikomitee) sei ein Beispiel für die Aktivitäten, denn in ihrem Rahmen wären gemeinsame Aktionen über Treffen und umfangreichen Austausch koordiniert worden. Die Kommunikation zwischen Gebietsleitern, Sektorleitern und Europa-Führung laufe über SMS, Treffen und Email-Postfächer, wobei regelmäßig Berichte geschrieben würden. Die Jugend habe sich durch eigene Aktivitäten hervorgetan, insbesondere durch Besetzungen von Schiffen oder Parteibüros.

Das Gericht hatte umfangreiche Nachfragen an den Zeugen:

Das Gericht fragte nach der personellen Konstellation von HPG und politischer Führung, worauf der Zeuge erneut die Oberkommandierenden der HPG aufzählte und sie als deren politische Führung bezeichnete, während die militärische Führung bei den Kommandanten liegen würde.

Weiter wollte das Gericht wissen, inwieweit sich die europäischen Strukturen der PKK aus den Asservaten, die in Belgien sichergestellt worden waren, erschlossen hätten oder ob sie schon anderweitig bekannt gewesen wären. Der Zeuge antwortete, die Gebietsstrukturen seien bereits vorher bekannt gewesen, wären aber durch die belgischen Asservate bestätigt und im Detail aufgezeigt worden.

Eine weitere Frage des Gerichts richtete sich auf den Begriff der „Selbstverteidigung“, ob der Zeuge ihn ausführen könne. Dieser erwiderte, es habe in der Vergangenheit ausschließlich einseitige Waffenstillstände der Guerilla gegeben, wobei sich diese das Recht der „legitimen Selbstverteidigung“ vorbehalte. Sobald es Angriffe auf Öcalan, die Guerilla selbst oder das Volk gebe, würde Vergeltung geübt.

Ein weiterer Begriff, nach dem der vorsitzende Richter Rosenow fragte, war der des „serhildan“. Der Zeuge erklärte, der „serhildan“ sei der „Volksaufstand, bei dem das Volk auf die Straße geht.“ Bis zum letzten Jahr wären das vor allem gewaltsame Demonstrationen gewesen. Auf Nachfrage des Richters bestätigte der Zeuge, dass die serhildans von den Aktionen der Guerilla zu trennen seien.

Des Weiteren stellte Generalstaatsanwalt Bernd Kolkmeyer Fragen an den Zeugen, unter anderem, ob die verschiedenen Umbenennungen Einfluss auf die Strukturen genommen hätten. Der Zeuge behauptete, bisher seien keine Umstellungen bekannt. Die genannten Komponenten hätte es bereits vorher gegeben und seien nur umbenannt worden, z.B. die CDK zur KCD-E.

Eine weitere Frage der Staatsanwaltschaft (StA) richtete sich nach dem Einfluss Öcalans auf die Bewegung und Strukturen. Der Zeuge antwortete, das KCK-Abkommen sei von Öcalan entworfen worden, wie es aus dem Gefängnis weitergeleitete worden wäre, wisse er nicht. Die Gespräche bei Besuchen würden niedergeschrieben, die Aussage Öcalans „verschriftet“ und verbreitet, etwa über das Internet. Darüber hinaus sei er der Vorsitzende des KCK-Systems und nach wie vor unumstrittener Führer.

Darüber hinaus wollte die StA wissen, welchen Anspruch die PKK verfolge, ob es ein Alleinvertretungsanspruch sei. Der Zeuge behauptete, in den letzten Jahren hätte es die DTP (Demokratische Gesellschaftspartei) und die BDP (Partei für Frieden und Demokratie) gegeben, die allerdings verboten worden wären. Die PKK habe „immer einen Alleinvertreteranspruch erhoben.“ Die prokurdische HDP (Demokratische Partei der Völker) würde allerdings von der PKK unterstützt. Ob es eine weitere Guerilla geben würde, wollte die StA wissen. Es sei schwer vorstellbar, gab der Zeuge zurück, dass die PKK eine andere Guerilla dulden würde. Die TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) seien als Konkurrenzorganisation „unwahrscheinlich“, da sie Öcalan ebenfalls als Führer bezeichneten und sich auf ihn beziehen würden. Öcalan müsse sich dazu äußern, dass er von ihnen „als Führer auserkoren“ sei. Ob die TAK also eine Teilorganisation der PKK sei, hakte die StA nach. Darauf entgegnete der Zeuge: „Das haben wir ja in anderen Verfahren dargestellt. Sie ist eine ausgelagerte Teilorganisation.“ An dieser Stelle hakte Rechtsanwalt (RA) Disli ein, ob in den Vorgesprächen zwischen Gericht, StA und Verteidigung sich nicht darauf geeinigt worden wäre, dass die TAK nicht Gegenstand des Verfahrens seien sollten. Ri Rosenow bestätigte, dass das Gericht kein Interesse an der Frage habe, da die TAK auch nicht in der Anklageschrift aufgeführt worden wären, und es auch Berichte der Verfassungsschutz gebe, die unsicher bzgl. der Stellung der TAK seien, und sogar sich in diesem Punkt widersprechende Gerichtsurteile ergangen seien. Das hindere allerdings nicht die StA ihre Fragen zu stellen.

Diese wollte hingegen weiter vom Zeugen wissen, wer die Führungspersonen der HPG bestimme. Der Zeuge leitete auch diese Antwort wie einen Großteil seiner Aussagen mit den Worten „Das müsste ich nachschauen.“ ein, erwähnte nur der derzeitige Oberkommandierende Murat Karayilan wäre vom Kongra Gel (Volkskongress) gewählt worden. Wie die Gebietskommandanten gewählt würden, wisse er nicht.

Die StA erfragte, ob bei den Gebietsverantwortlichen auch das Prinzip der Doppelspitze gelte. Das Prinzip der geschlechterquotierten Doppelspitze sei 2013 eingeführt worden. Bis dahin hätte es ein „Triumvirat“ aus allgemeinem Bereich, Frauen und Jugend gegeben. Das BKA habe festgestellt, dass es bei der Umsetzung der Doppelspitze hapere. Wie es in den einzelnen Gebieten aussehe, könne der Zeuge nicht sagen.

Wie schaue es mit Alimentierung, Beruf und Familie bei den hauptamtlichen Kadern aus? Die Kader sollen sich auf die politische Arbeit konzentrieren. Beziehungen seien dabei nicht erwünscht, wären auch schon sanktioniert worden. In der Regel sollen hauptamtliche Kader für die Partei arbeiten. Sie hätten keine Wohnung etc. und würden jährlich den Ort ihrer Arbeit wechseln.

Die StA wollte nochmal genauer über die Bedeutung der Email-Postfächer Bescheid wissen. Die verschiedenen Strukturen (Europa, Sektoren und Gebiete) hätten ihre eigenen Postfächer. Durchaus möglich sei, dass auch die Raum-Verantwortlichen auf die Postfächer zugreifen würden. Das BKA sei grundsätzlich für die Sektoren verantwortlich und kümmere sich um die Gebietsverantwortlichen nur in Einzelfällen.

Eine weitere Frage der StA richtete sich nach den Straftaten der Jugend-Bewegung, über welchen Zeitraum sich diese erstreckten. 2012 bis 2013 müsse das gewesen sein, antwortete der Zeuge. Vor 2010 hätte es „gewalttätigere Hit and Run-Aktionen“ gegeben mit Brandanschlägen. In den letzten Monaten wären auch wieder solche Aktionen aufgetreten. In den letzten Jahren wären es aber eher Besetzungen mit wenig Gewaltausübung gewesen. Ob solche Aktionen mit Billigung oder auf Anweisung „der Führung“ geschehen, wollte die StA noch wissen. Das BKA ermittele danach, aber dem Zeugen seien jetzt keine Anweisungen bekannt. Trotzdem mutmaßte er, dass solche Aktionen organisatorisch verbunden sein müssten, da sie ja in einem ähnlichen Zeitraum an anderen Orten auftreten würden. RA Schmitt hakte an dieser Stelle nach, welche Führung denn überhaupt gemeint sei, worauf der Zeuge ausweichend antwortete, das sei Gegenstand der Ermittlungen.

Im Folgenden stellte die Verteidigung Fragen an den Zeugen:

RA Schmitt wollte wissen, ob die 400,00 Euro, die ein Gebietsverantwortlicher bekomme, die hauptamtliche Zuwendung sei und ob das BKA daraus interpretiere, dass es sich bei der Person um einen „hauptamtlichen Kader“ handele. Das sei der Stand beim BKA, antwortete der Zeuge. RA Schmitt verwies den Zeugen auf ein Urteil des OLG Koblenz. Dieser erwiderte, dass in diesem Fall ein Raum-Verantwortlicher die Funktion eines Gebietsleiters übernommen habe, da dieser ausgefallen sei.

Des Weiteren fragte RA Schmitt nach den einseitigen Waffenstillstandserklärungen und der Reaktion des türkischen Staats auf sie. Soweit sich der Zeuge erinnere hätten diese in Verbindung mit der Festnahme Öcalans zu tun gehabt. RA Schmitt entgegnete, dass Öcalans im Februar 1999 verschleppt worden wäre, während der Waffenstillstand zu dieser Zeit bereits 1998 erklärt worden wäre. Der Zeuge legte darauf hin dar, dass dieser Waffenstillstand über Jahre erklärt und mehrmals einseitig verlängert wurde. Der Staat habe weiterhin militärische Operationen durchgeführt, bis in den Nordirak hinein.

RA Schmitt wollte noch einmal auf die Frage der StA nach der Führung Öcalans aus dem Gefängnis heraus eingehen. Wie könne das sein? In den letzten Jahren hätte es die Osloer Friedensgespräche zwischen der türkischen Regierung und der PKK gegeben, könne der Zeuge darauf eingehen. Diesem sei bekannt, dass es „Gespräche gegeben haben soll“, aber richtig wüsste er darüber nicht Bescheid. RA Schmitt: Die Beteiligung Öcalans an diesen Gesprächen sei doch eine berechtigte Forderung. Zeuge: Diese Forderung war Bedingung des 10-Punkte-Plans, den die PKK der Regierung vorgelegt hat.

RA Disli wollten vom Zeugen wissen, ob diesem bekannt sei, dass es seit 2011 keinen Anwaltsbesuch bei Öcalan gegeben habe. Das habe man beim BKA registriert und auch, dass Öcalan seit einem Jahr total isoliert sei. Wie es mit der Unterstützung der HDP nach 2014 in diesem Zusammenhang aussehe, fragte RA Disli. Der Zeuge antwortete, die HDP sei Vermittlerin im Friedensprozess gewesen und habe auch eine gemeinsame Erklärung mit der AKP und der PKK abgegeben. Die PKK habe sie im Wahlkampf unterstützt.

Anschließend sagte der Zeuge zu den anderen Vermerken, die er zwischen 2014 und Ende 2015 gefertigt hatte, aus:

Zunächst ging es um die militärischen Auseinandersetzungen 2012/2013, bei denen die Guerilla ihre Aktionen bis zu einem Selbstmordanschlag gesteigert habe. Der Oberkommandierende Karayilan habe mit Angriffen des Fedayin-Batallions/dem Bataillon der Unsterblichen auch gegen die türkische Regierung gedroht, falls Öcalan etwas zustoße. Es wäre ein Datenträger mit einem Strategiepapier der Verteidigungskommission des Kongra Gel sichergestellt worden, das auch Anschläge im Westen der Türkei vorgesehen habe. Die Anschläge der Guerilla hätten bis zur Erklärung Öcalans Newroz 2013 angehalten. Im Folgenden habe die Regierung die Waffenniederlegung und den Abzug der Guerilla gefordert, während die PKK an ihrer Guerilla festgehalten hätte. Nach dem Anschlag in Suruç am 20.06.15, bei dem 32 Jugendliche getötet wurden, hätte die PKK zwei Polizisten als Vergeltung umgebracht. Daraufhin habe Erdoğan die Angriffe auf die Guerilla beginnen lassen, was zu beidseitigen Auseinandersetzungen geführt habe. 400 Anschläge der HPG seien ab Juli bis zum Vermerk vom 06.11.15 erfolgt, bis zum Jahresende noch 200 mehr.

Das Gericht wollte wissen, wie sich denn die HPG im Mai 2013 verhalten habe. Die HPG habe mit dem Rückzug begonnen, doch die Regierung habe behauptet, die Guerilla wäre noch im Land. Gericht: Ob es eine Erklärung dazu gegeben haben? Zeuge: Die Guerilla solle ihre Einsatzfähigkeit beibehalten und das Recht auf legitime Selbstverteidigung in Anspruch nehmen. Dies sei mit der Phase 1999 bis 2004 vergleichbar, in der es zwar einen großen Waffenstillstand gegeben hätte, aber trotzdem Aktionen der legitimen Selbstverteidigung – der Phase 1 – stattgefunden hätten. Während des letzten Waffenstillstands hätte es Aktionen gegen Staudammprojekte gegeben, die ebenfalls als legitime Selbstverteidigung erklärt worden wären. Gericht: „War diese Linie allgemein bekannt?“ Zeuge: Solche Verlautbarungen hätte es über die Homepage der HPG, über das Fernsehen und über die Tageszeitung Yeni Özgür Politika gegeben. Dazu könne seine Kollegin mehr sagen, die bereits am 2. Prozesstag als Zeugin ausgesagt hatte.

Das Gericht fragte nach der Tötung eines „Konteragenten“ am 22.08.14, woraufhin der Zeuge ausführte, dem pensionierten Schiffskapitän wäre der Tod einer Guerilla-Kämpferin vorgeworfen worden, weshalb er getötet worden wäre. Nach der Absprache mit der Bundesanwaltschaft (BAW), die Herrin der Ermittlungsverfahren sei, würden nur „terroristische“ Anschläge vom BKA gelistet, „Auseinandersetzungen rivalisierender Militäreinheiten“ würden nicht beachtet. Auf Nachfrage des Gerichts konnte der Zeuge nicht präziser antworten: „Reine Sachschäden denke ich mal nicht, es kann aber sein, dass sie noch darunter sind.“ Schäden an Zivilist*innen würden billigend in Kauf genommen, aber nicht beabsichtigt.

Das Gericht ging noch einmal auf den Anschlag in Suruç am 20.06.15 ein und fragte, ob es Unterstützung der Türkei für den Islamischen Staat (IS) gebe. Als der Zeuge sich dumm stellte, hakte der Richter nach, ob der Anschlag „vielleicht irgendetwas mit Kobanê zu tun gehabt“ hätte. Der Zeuge relativierte, es gäbe solche Verlautbarungen, aber dazu könne er jetzt nichts sagen. Das würde ihm nicht einfallen.

Des Weiteren wollte des Gericht wissen, warum der Rückzug der Guerilla 2013 gestoppt wurde. Das hätte der Zeuge nicht mehr geläufig. Ein Teil habe sich zurückgezogen. Die Antwort, warum der Rückzug gestoppt wurden, wäre ihm nicht mehr geläufig. Der Richter stellte in den Raum, dass es vielleicht etwas mit der Haftsituation Öcalans, dem Ausbau der militärischen Infrastruktur und dem Stopp der Demokratisierung der Türkei zu tun gehabt haben könnte.

Anschließend stellte das Gericht zahlreiche Fragen zum organisatorischen Wandel, der Umstrukturierung und Umbenennung. Der Zeuge referierte brav aus seinen Vermerken. Zentraler Bezugspunkt dabei war immer wieder das KCK-Abkommen, nach dem sich die Strukturen der Bewegung – auch in Europa – organisierten.

Nach der Mittagspause zwischen 12.45 und 13.45 Uhr setzte die StA die Befragung des Zeugen fort.

Sie ließ sich vom Zeugen die „4 Phasen-Theorie“ (der Selbstverteidigung, Anm. des Solikomitees) erklären. Dem Zeugen nach wäre die Phase 1, die der legitimen Selbstverteidigung. Die Phase 2 bestünde in Aktionen der Guerilla. In der Phase 3 komme der serhildan hinzu. Über Phase 4 könne er nur spekulieren, rechne aber mit „Selbstmordanschlägen und Bürgerkrieg“.

Die StA wollte mehr über die Anschläge des Bataillons der Unsterblichen/Bataillon Zîlan erfahren. Diese habe vor Jahren einen Anschlag in Istanbul verübt und sei dann erst wieder 2015 in Istanbul in Erscheinung getreten. Karayilan habe darauf erklärt, dass solche Aktionen nur durchgeführt würden, wenn das Ziel die Verluste rechtfertigen würde. Im Februar oder März hätte es einen Anschlag gegeben, zu dem sich die TAK mit ihren Bataillon Zîlan bekannt hätten. Bei dem TAK-Anschlag 2007 wäre dieses Bataillon nicht genannt worden. Cemil Bayik und Murat Karayilan hätten sich stets von der TAK distanziert.

RA Disli fragte den Zeugen, ob ihm denn geläufig wäre, dass die Türkei Waffen an den IS geliefert haben soll. Der Zeuge antwortete, er habe das im Azadî-Infodienst gelesen, aber es gäbe kein eigenes Ermittlungsverfahren in diese Richtung: „Unser Ermittlungsverfahren richtet sich gegen die PKK, nicht gegen die türkische Regierung.“ RA Disli ergänzte noch, dass vor kurzem ein Journalist zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, weil er über die Waffenlieferungen berichtete. Der Zeuge zeigte, dass er sehr wohl wüsste, um welche Berichte es ging, da er ein zweites Mal den von der Militärpolizei durchsuchten LKW voller Waffen erwähnte.

Der letzten Frage des RA Disli, ob denn zwischen einem Engagement für das Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurd*innen in Deutschland (NAV-DEM) oder für die PKK – z.B. in Form des Wahlkampfs für die HDP – unterschieden werden könne, wich der Zeuge bloß aus, indem er entgegnete, die Verfolgungsermächtigung richte sich gegen Sektor- und Gebietsverantwortliche, die Bewertung etwa anderen sei nicht Aufgabe des BKA.

Nachdem das Gericht den Zeugen entlassen hatte, erinnerte Ri Rosenow Mustafa daran, dass er nach § 257 StPO sich dazu äußern könne. Obwohl der Zeuge als Schlüsselzeuge dargestellt wurde und seit über zehn Jahren mit der Thematik befasst ist, wird seine Aussage als eher schwach eingeschätzt, vor allem, weil er seine Antworten auf Nachfrage oft relativierte und sich häufig auf sein Nichtwissen berief.

Ri Rosenow kündigte für den kommenden Prozesstag die Vernehmung eines LKA Beamten als Zeugen sowie die Verlesung des Urteils gegen Mehmet Demir in Auszügen und einiger TKÜ-Protokolle an.

Die Hauptverhandlung gegen Mustafa wird am 20.05.16 um 9.15 Uhr fortgesetzt werden.

Weitere anberaumte Prozesstermine:

Jeweils um 9.15 Uhr im OLG Celle/Saal 94 (Schlossplatz 2, Eingang Kanzleistr.):

im Mai: 20.05.16, 24.05.16, 27.05.16,

im Juni: 03.06.16, 07.06.16, 10.06.16, 14.06.16, 17.06.16, 21.06.16, 24.06.16, 28.06.16,

im Juli: 01.07.16, 05.07.16.

Für eine Anreise vom Hannover Hbf bietet sich die S-Bahn um 8.04 Uhr an.

 

Weitere und fortlaufende Infos zu allen § 129b-Verfahren gegen kurdische Aktivist*innen: https://freiheit.blackblogs.org

Pressekontakt des Solidaritätskomitees:

NAV-DEM Hannover

nav-dem_hannover [at] posteo.de

015213381093

 

Den Bericht vom 4. Prozesstag gg. Mustafa Çelik (17.05.16, OLG Celle) als pdf: hier.

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