Durch die Nachrichtenkanäle flackert zur Zeit die Nachricht, dass bis zu 77% der Justizbeamten in der Nachkriegszeit eine klare NS-Vergangenheit hatten und so auch NS-Unrecht bis in die heutige Zeit gedeckt und ungesühnt bleibt. Schön, dass selbst der Justizminister erkennt, dass dieser Staat die NS-Nachfolge angetreten hat. Konsequenzen lassen sich der ganzen historischen Aufarbeitung aber nicht entnehmen.
Dass die Grundhaltung der BRD-Justiz von Beginn an keine „demokratische“ war, kann man auch heute noch bei der Beobachtung der §129b-Prozesse gegen kurdische Politiker in der BRD sehen. Allein der genannte Paragraph „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ ist ein Faustschlag gegen eine demokratische Haltung: der von der Kanzlerin ernannte Minister erteilt die „Verfolgungsermächtigung“, wenn er meint, dass die betreffende Organisation im Ausland Terroranschläge beginge und dies für die BRD-Staatsraison von Bedeutung sei.
Also nichts von „in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten“ – da gibt es gar keine Zweifel, sondern nur eine „Verfolgungsermächtigung“. Dem Angeklagten müssen die Richter nur nachweisen, er sei als Funktionär Teil der Organisation. Und die Organisation nutze das „Mittel Mord und Totschlag“. Punkt.
Nach diesem Schema liefen in der Vergangenheit drei Prozesse vor dem Oberlandesgericht Hamburg am Sievekingplatz. Die mittlererweile nur noch drei Richter (keine Frau!) leiern das Verfahren im sogenannten „Selbstleseverfahren“ durch, d.h. fast die gesamten Grundlagen des Verfahrens werden aus Akten älterer Verfahren „eingeführt“, indem der Angeklagte einen Stapel Papier in die Zelle bekommt „zum Selbst-Lesen“.
Heute wurden diese Grundlagen kurz vom „Vorsitzenden“ durchgenuschelt: 1. Türkisch-Kurdischer Konflikt, 2. Menschenrechtslage in der Türkei, 3. „Anschläge der PKK“, 4. „Struktur der PKK“, um dann schnell zum Nachweis „Hasan Dutar = PKK = Organisation + Mord u. Totschlag = Terrorist = 3 Jahre Knast (das Übliche)“ zu kommen.
Von Beginn an versuchte hier Hasan Dutars Anwalt dem Gericht mit Anträgen nachzuweisen, dass es sich bereits hier jenseits rechtsstaatlicher Pfade bewegt: das „Selbstleseverfahren“ verstoße gegen die „Unmittelbarkeit“, dem Angeklagten eine konkrete Straftat nachzuweisen – angesichts des Ausmaßes der zu erwartenden Strafe. Gericht: Abgelehnt. Es gäbe „prozess-wirtschaftliche Gründe“ für diese Praxis.
Auch der Einspruch gegen die Verwendung von mitgeschnittenen Telefongesprächen aus den Akten der Ermittlungsrichterin am BGH wurde abgelehnt – die Frau hat offensichtlich die Textbausteine ihrer „Ermittlung“ aus den Texten der Bundesstaatsanwaltschaft zusammenkopiert, denn sie hatte auch 3 inhaltliche Fehler der BAW-Akten genauso übernommen, was der Anwalt lediglich als beispielhafte Beweise anführte.
Die Haltung der Richter und das dementsprechende Gebaren können vor dem Hintergrund der „Akte Rosenburg“ richtig eingeordnet werden: Es ist die Justiz der NS-Nachfolge. Wenig gelernt, wenig demokratisches Interesse, Verschleierung, Pflichterfüllung.
Ein seltsames Gefühl überkommt einen beim Lesen der Inschrift der Gedenktafel am Sievekingplatz:
„1933 – auf der grauen Betonfläche mahnt eine kühle Zahl jene, die heute Recht sprechen:
Die deutsche Justiz war willfähriges Instrument der nationalsozialistischen Diktatur. Richter und Staatsanwälte vollstreckten vom Rassenwahn geprägte Gesetze gegen Juden Polen, Russen und andere Gruppen. Fast alle beschwiegen das Unrecht, Widerstand leisteten nur wenige. (…)“