Am Dienstag den 03.05.2016 begann der Prozess gegen den kurdischen Politiker Bedrettin Kavak vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg. Der Politiker verbrachte bereits mehr als 20 Jahre in der Türkei in Haft und wurde dort vielfach schwer gefoltert. Ihm wird nun nichts weiter vorgeworfen, als dass er als verantwortlicher Kader in Deutschland Demonstrationen organisiert und Konflikte in der kurdischen Community geschlichtet habe. Gemäß §129b wird er für das Agieren der PKK in der Türkei verantwortlich gemacht, das die Bundesanwaltschaft (BAW) als auf Mord- Totschlag ausgerichtet wertet. Die PKK sei eine terroristische Vereinigung und strebe nach wie vor ein „staatenähnliches Gefüge“ an, so der Vertreter der BAW.
Zum Prozessauftakt gab Bedrettin Kavak eine kurze politische Erklärung ab. „In der Türkei leisten die KurdInnen seit Jahrzehnten Widerstand gegen systematische Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung durch staatliche Kräfte. Die türkische Regierung unterdrückt Minderheiten, führt einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung und arbeitet mit dem Islamischen Staat zusammen. (…) Ich habe mich mein Leben lang für Frieden und Demokratie sowie ein respektvolles Zusammenleben der Menschen aller Ethnien und Religionen eingesetzt und werde das bis an mein Lebensende tun. In der Türkei wurde ich während meiner mehr als 20jährigen Haft über 1 ½ Jahre kontinuierlich gefoltert. Auch in Deutschland werden KurdInnen verfolgt. Das ist nicht richtig. Kein Mensch und kein Gericht hat das Recht, uns Kurden dafür zu verurteilen, dass wir, ohne unterdrückt zu werden, leben wollen und unsere Rechte einfordern. Insgesamt stehen zur Zeit 20 RevolutionärInnen aus der Türkei und Kurdistan vor Gericht. Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn unsere Angehörigen, gefoltert, erniedrigt und massakriert werden“, so der Politiker unter Anderem.
Die Verteidigung stellte den Antrag auf Zulassung eines Vertrauensdolmetschers für Bedrettin Kavak. Nur so könne eine effektive Verteidigung und die Gleichstellung mit MuttersprachlerInnen gewährleistet werden, die durch Urteile des Europäischen Gerichtshof garantiert werde, so Rechtsanwalt Alexander Kienzle. Die 3 Richter der Kammer des OLG lehnten den Antrag zunächst ab, da sie jederzeit, wenn Beratungsbedarf zwischen Verteidigung und Beschuldigtem bestehe, die Verhandlung unterbrechen würden. Als drei Minuten später Beratungsbedarf angemeldet wurde, wollten die Richter dies zunächst nicht zulassen, mussten dann aber einsehen, dass sie ja in ihrer eigenen Entscheidung, genau das zugesichert hatten. Für die nächsten beiden Hauptverhandlungstage zumindest ist nun ein weiterer Dolmetscher geladen.
Die Verteidigung stellte zudem Anträge auf Einstellung des Verfahrens und die sofortige Entlassung von Bedrettin Kavak aus der Haft.
Der erste Antrag basierte auf einer Skizze der Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, die in der Türkei auf Weisung der Regierungen in den letzten dreißig Jahren begangen wurden. „Insbesondere seit 2007 und zugespitzt seit Sommer 2015 ist das Handeln der türkischen Regierung als Staatsterror gegen die kurdische Bevölkerung und Oppositionelle zu werten. Die türkische Armee begeht seit mehr als einem halben Jahr auf Weisung der Regierung noch intensiver als in den Jahren davor flächendeckend Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Südosten der Türkei. Ganze Städte wie z.B. Nusaybin, Cizre, Diyarbarkir Sur, Sirnak und Yüksekova wurden mit Panzern, Hubschraubern, Raketen und Sondereinheiten von Armee und Polizei angegriffen. Die Situation dort gleicht mittlerweile der in Kobane oder auch Aleppo. Weit mehr als 300 Zivilistinnen, darunter viele Frauen, Alte und Kinder sind unter den Opfern der Angriffe der Armee“, so Rechtsanwalt Frank Jasenski.
Zudem sei die Verfolgungsermächtigung gegen die PKK im Justizministerium von einem Beamten erteilt worden, der dafür nicht zuständig sei. Allein deshalb sei eine Verfolgung gemäß § 129b illegitim.
Außerdem sei es notwendig, die sich verändernde Rolle der PKK immer wieder neu zu bewerten. Die PKK sei maßgeblich daran beteiligt gewesen, hunderttausende EzidInnen aus dem Sengalgebirge durch einen Korridor vor dem IS zu retten und sei insgesamt eine der wirkungsvollsten Akteure gegen den IS. Die Organisation orientiere auch nicht auf einen eigenen Staat sondern auf konföderale Strukturen innerhalb der bestehenden Nationalstaaten.
Der § 129b sei ohnehin verfassungswidrig, da Grundlage einer Verfolgung nach diesem Paragraphen eine Ermächtigung durch das Bundesministerium für Justiz ist, die die Gerichte entmündigt. So werde die Gewaltenteilung aufgehoben. Strafrecht und Gerichte würden für die Durchsetzung außenpolitischer Interessen missbraucht. Zudem sei der §129b zu unbestimmt. Für Gerichte und BürgerInnen sei aus dem Paragraphen nicht vorhersehbar und zu erkennen, welche Organisationen als terroristisch eingestuft werden und welche nicht. So würden zum Beispiel politisch opportune Gruppen, die in Syrien gegen die Regierung Assad oder in Libyen gegen die Regierung Gaddafi kämpf(t)en, nicht nur nicht verfolgt, da sich ihr Handeln gegen Unrecht und Staaten richte, die nicht rechtsstaatlich organisiert seien, sondern sogar aktiv unterstützt, auch wenn sie die Menschenrechte nicht achten. Bei der PKK werde dies trotz Aushebelung der Pressefreiheit, die systematische Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung und regelmäßige Menschenrechtsverletzungen, die von der Regierung Erdogan zu verantworten sind, allerdings nicht so gewertet, ohne das es dafür nachvollziehbare Kriterien gebe.
„Der Friedensprozess wurde einseitig von der AKP Regierung aufgekündigt, nachdem diese bei den Parlamentswahlen 2015 keine 2/3 Mehrheit erlangt hat. Staatspräsident Erdogan und mehrere weitere führende Politiker haben das direkt so bekundet“, so Jazenski, der dies mit mehreren Zitaten belegte. „Hätte die AKP 400 Abgeordnete und die HDP wäre nicht im Parlament, dann wäre der Friedensprozess fortgesetzt worden“, hatte Erdogan zum Beispiel kurz nach den Wahlen verkündet. Der Friedensprozess sei seitens der Regierung zu keinem Zeitpunkt ernsthaft betrieben worden, so die Verteidigung. Das Handeln der PKK sei ja gerade auf die Einhaltung von Menschenrechten sowie rechtstaatlicher Standards orientiert.
In einem zweiten Antrag beantragte Alexander Kienzle die Aussetzung des Verfahrens und die sofortige Entlassung Bedrettin Kavaks aus der Haft, weil ein Großteil der gegen ihn erfolgten Gerichtsbeschlüsse, wie Anordnung der Telefonüberwachung, Haftbefehl und schließlich auch die Anklage auf in keiner Weise überprüfbaren Wertungen des Verfassungsschutzes beruhen, die nichts weiter enthalten als die Mitteilung, dass bekannt sei, dass es sich bei Bedrettin um einen Kader der PKK handele. Woher diese Information stamme und auf welchen Informationen diese Schlussfolgerung beruhe, ließe sich der Akte, die der Verteidigung und damit auch dem Gericht bisher vorliegt, nicht entnehmen. Laut Strafprozessordnung müsse jedes Ermittlungsverfahren und jede Anklage auf nachvollziehbaren und zuortenbaren Erkenntnissen beruhen. Im Fall der Anklage gegen Bedrettin Kavak sei dies nicht der Fall. Vielfach sei nicht nachvollziehbar ob die vermeintlichen Erkenntnisse nicht aus Wertungen von ausländischen Geheimdiensten oder Polizeibehörden zum Beispiel aus der Türkei stammen. Deshalb widersprach der Verteidiger der Verwertung der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung und überhaupt ihrer Einführung in die Hauptverhandlung.
In einem weiteren Antrag legte Verteidiger Alexander Kienzle offen, dass die Dolmetscherin des Bundeskriminalamtes, Petra S., ohne dafür qualifiziert und eingestellt zu sein, auch als Sachverständige zur Stimmerkennung fungierte. Im Fall von Telefonüberwachungen sogenannter Hintergrundgespräche mit vielen Hintergrundgeräuschen habe sie eindeutig die Stimme Bedrettin Kavaks erkannt, so ein Aktenvermerk, obwohl der Inhalt nicht erkennbar gewesen sie. Interessant, dass die Dolmetscherin die gleiche Stimme in einem weiteren Verfahren gegen einen Kurden auch diesem zugeordnet hatte, um eine Beschuldigung zu unterstützen.
Insgesamt sei bei der Arbeit von Petra S. zu erkennen, dass sie in mehreren Verfahren immer wieder Wertungen vornehme, um Beschuldigte zu belasten. Wertungen seien allerdings nicht die Aufgabe von SprachmittlerInnen, so Kienzle. Deshalb bestehe ein Verwertungsverbot für sämtliche Übersetzungen, die die Dolmetscherin in der Akte vorgenommen habe. Das Verfahren müsse bis zu einer Klärung der Sachlage unterbrochen und von Petra Sazmaz eine Stellungnahme zu ihrem Verhalten eingeholt werden.
„Bei den Prozessen gemäß § 129b gegen Kurden wird nicht ausreichend abgewogen, in wie weit der Widerstand der PKK gegen systematisches Unrecht und Kriegsverbrechen durch die Regierung Erdogan dem Völkerrecht entspricht, wie das zum Beispiel beim ANC in Südafrika gemacht wurde. Der Bundesgerichtshofs (BGH) hatte dies im Jahr 2013 verneint, da es sich nicht um Rassismus bzw. Apartheid wie in Südafrika handele und Kurdistan auch keine Kolonie sei, sondern ein Ergebnis der Vereinbarung der Siegermächte des 1. Weltkrieges. Eine solche Wertung ist ahistorisch. Die PKK wirkt für ein multiethnisches und multireligiöses Zusammenleben sowie für Demokratie und Frieden in der Türkei und im Mittleren Osten. Sie ist zudem einer der stärksten Akteure im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Bedrettin Kavak und die weiteren politischen Gefangenen Kurden in der BRD sollten sofort frei gelassen werden. Dadurch könnte ein positives Signal für den Frieden gesendet werden. DIE LINKE fordert, auch im Bund, die sofortige Aufhebung des PKK-Verbots, das aufgrund einer unkritischen Waffenbrüderschaft mit der Türkei eingeführt und bis heute aufrechterhalten wurde“, so Martin Dolzer, Justizpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft, der den Prozess beobachtete.