Am 10.05. und 11.05. wurde der Prozess gegen Bedrettin Kavak vor dem 3. Strafsenat des hanseatischen Oberlandesgerichts fortgesetzt. Das Verfahren gegen Betrettin Kavak läuft seit dem 03.05.16 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§§ 129a,129b StGB). Er wird beschuldigt, sich als mutmaßlicher Kader der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) von Juni 2012 bis Mitte 2013 als Gebietsleiter „Süd“ und ab Mitte Juli 2014 im Sektor „Nord“ betätigt zu haben.
Am zweiten und dritten Prozesstag stand die Befragung der leitenden BKA Beamten Hirschberg und Becker im Mittelpunkt der Verhandlung vor dem 3. Strafsenat des hanseatischen Oberlandesgerichtes.
Zunächst wurde der 28-Jährige BKA – Beamte Hirschberg angehört, der auch am dritten Prozesstag aussagen musste. Hirschberg ist 28 Jahre alt und wurde laut eigener Angaben nach seiner Ausbildung vom altbekannten BKA Kommissar Becker angeleitet und übernahm nach circa einem Jahr die Leitung in dem Verfahren gegen Bedrettin Kavak. Nach eigener Aussage beschäftigte sich Hirschberg hauptsächlich mit der TKÜ (Telekommunikationsüberwachung).
Sein Kollege und nach eigener Aussage „Bärenführer“ (so lautet scheinbar die Bezeichnung für erfahrene Anleiter beim BKA) Becker wurde am 3. Prozesstag vor Gericht geladen. Der BKA Kommissar Becker ist bereits aus früheren §129b Verfahren gegen Kurden bekannt und konnte erneut seine einseitige Betrachtung des türkisch-kurdischen Konflikt darlegen.
Behinderung der Verteidigung. Antrag? Abgelehnt!
Der 3. Strafsenat des Oberlandesgericht Hamburgs, der sich wie bei den letzten Malen aus den gleichen drei Richtern zusammensetzt, machte bereits am ersten Tag deutlich, das Verfahren möglichst schnell auf Kosten der Verteidigung und des Angeklagten Bedrettin Kavak durchführen zu wollen. Die Forderung nach einer/m Vertrauensdolmetscher*in wurde auch in diesem Prozess abgelehnt, jedoch wurde der Verteidigung für den Zeitraum der Zeugenbefragung ein zweiter Dolmetscher des Gerichts zugestanden.
Auch am zweiten und dritten Prozesstag wurde deutlich, dass die Arbeiten der Verteidigung deutlich behindert wurden, indem Anträge zur Beratung, nach Pausen oder zur Zurückweisung der falschen richterlichen Befragung zurückgewiesen wurden. Der Vorsitzende Richter versuchte die offene und eigenständige Zeugenaussage durch konkrete Nachfragen einzuschränken. Die Verteidigung ging gegen dieses Verhalten mit einem Einwand bzgl. der Nichteinhaltung der Prozessordnung vor, da der Zeuge auf diese Weise keinen zusammenhängenden Sachverhalt ausführen kann. Die verschiedensten Anträge wurden von den drei Richtern zum Teil noch im Gerichtssaal ohne Beratungszeit durch kurze Verständigung durch Kopfnicken abgelehnt.
Zudem wurde der BKA Beamte Hirschberg als Zeuge direkt vor das Richterpult gesetzt, sodass es der Verteidigung sowie dem Angeklagten nicht mehr möglich war, das Gesicht des Zeugen zu sehen. Nach vehementem Protest der Verteidigung wurde es zumindest ihr ermöglicht, die Sitzplätze zu wechseln und hierdurch ebenso wie der Senat und die Staatsanwaltschaft Blickkontakt zum Zeugen herzustellen.
Im Verlauf der Zeugenbefragung durch die Verteidigung unterstützte der vorsitzende Richter den Beamten Hirschberg in für ihn unangenehmen Situationen, indem er den Zeugen darauf aufmerksam machte, dass dies nicht Gegenstand seiner Aussagegenehmigung sei. In der Folge berief sich Kommissar Hirschberg immer wieder, bei stockenden Antworten und nach Hinweisen des Richters, auf dieses Recht.
Auch am dritten Prozesstag machte das Gericht deutlich, dass sie Bedrettin Kavak möglichst schnell verurteilen möchten. Als es bei der wiederholten Befragung des Zeugen und BKA Beamten Hirschberg durch die Verteidigung zu Fragen bezüglich der Vorgehensweise der Stimmenvergleiche bei Überwachung von Telefongesprächen kam, äußerte der Senat, er habe kein Interesse an dem Stimmvergleich und er würde der Verteidigung lediglich für einen weiteren Antrag nützen.
Daraufhin stellte die Verteidigung einen Antrag auf Befangenheit des Senats, infolgedessen wurde die Sitzung unterbrochen bis zum nächsten Verhandlungstag.
Von Telekommunikationsüberwachung und belgischen Telefonanschlüssen… Der BKA Kommissar Hirschberg berichtete während seiner Befragung, dass zu Beginn der TKÜ zwei Anschlüsse überwacht wurden, die durch Recherche der IMEI-Nummer einem Dual-SIM Handy zugeschrieben wurden. Hirschberg erklärte, dass nach seinem Erkenntnisstand eine Nummer für konventionelle Telekommunikation (Telefonate und SMS) und die andere Nummer nur für SMS genutzt wurde.
Als Beweis für Bedrettins Funktion als Gebietsleiter führte Hirschberg in diesem Kontext an, dass dieser SMS aus Belgien bekommen hätte, welche er in Form von sog. „Rund-SMS“ an Kontakte in Deutschland weiter verteilt habe. Die SMS aus Belgien seien Anweisungen der Europaführung.
Auf Nachfrage der Verteidigung ob denn eine TKÜ der belgischen Telefonnummern stattgefunden habe, um dies zu belegen, verneinte Hirschberg. Der vorsitzende Richter griff an dieser Stelle in das Verfahren ein, unterstellte der Verteidigung, wie bereits am ersten Prozesstag, erneut „Spiele“ zu betreiben und stelle es als allgemein gültig dar, dass es sich bei den belgischen Absendern um die Europaführung der PKK handelt, dies sei allen Verfahrensbeteiligten bekannt.
Eine der überwachten Nummern sei dem BKA durch den Verfassungsschutz (VS) zugespielt worden. Dies bestätigte auch am nächsten Tag der BKA Beamte Becker. Zur Eröffnung des Verfahrens wurde laut den Angaben des BKA Beamten Becker eine Anfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz gestellt, ob es dort Informationen und Erkenntnisse zum Sektorleiter Süd 1 gibt.
Schriftlich hat der Kommissar Becker auch von dort den Namen „Bedrettin Kavak“ erhalten, der unter dem Decknamen Ali die „Sektorleitung Süd 1“ übernommen haben soll.
Auf Nachfrage zum Verlauf der Verhaftung, der Belehrung der Rechte und der Inbeschlagnahme der persönlichen Gegenstände erklärte Hirschberg, sich nicht genau erinnern zu können bzw. größtenteils persönlich gar nicht anwesend gewesen zu sein. Die Verteidigung harkte an diesem Punkt genauer nach, da Unklarheiten über das Durchsuchungsprotokoll bestehen.
Es ist unklar, wann die Durchsuchung genau stattfand. Zudem beanstandete die Verteidigung im Namen des Angeklagten, dass Teile der beschlagnahmten Aservate nicht ihm gehören würden, darunter ein Mobilfunkgerät.
Die fragwürdige Rolle der Dolmetscher_innen
Auf Nachfrage zu dem genauen Ablauf der TKÜ erklärte Hirschberg, dass sämtliches Material in türkischer und kurdischer Sprache war und daher zuvor von Dolmetscher*innen, die für das BKA arbeiten, übersetzt werden musste. Bei genauerer Hinterfragung erklärte Hirschberg, dass SMS im Wortlaut übersetzt und Telefonate inhaltlich gekürzt zusammengefasst worden sein. Im Laufe der folgenden Befragung stellte sich heraus, dass es keine einheitlichen Richtlinien für die Übersetzung und schon gar nicht für die inhaltliche Zusammenfassung durch die Dolmetscher*innen gibt.
Des weiteren wurde mehr über die Zusammenarbeit zwischen BKA und freischaffenden Dolmetscher*innen bekannt: so besteht keine zusätzliche Verpflichtung zur Berichterstattung, außer der aufgetragenen Übersetzungsarbeit.
Demonstrationen gegen die Massaker an den Jesid_innen als Gegenstand der Verhandlung
Der Beamte Hirschberg erklärte, dass Bedrettin bei der Mitorganisation von und Teilnahme an Kundgebungen, Demonstrationen und Festivals, sowie einer Rede auf einer Veranstaltung in Celle beobachtet worden sei.
Hierbei ging es vorrangig um die Dauermahnwache „Freiheit für Abdullah Öcalan“ vor dem Europarat in Straßburg und eine Demonstration gegen die Angriffe des IS auf Shengal und die Jesid_innen in Hannover im Sommer 2014.
Der BKA Beamte Hirschberg führte an, dass Kavak für die Organisierung von Ordnern auf der Demonstration in Hannover zuständig war. Auf Nachfrage der Verteidigung bestätigte er, dass es eine legale Demonstration war. Ob in den Auflagen der Versammlungsbehörde Ordner gefordert waren, wusste er nicht.
Auf Nachfrage, was für Menschen bei der seit 4 Jahren andauernden Mahnwache teilnahmen, sagte Hirschberg: „Personen aus PKK-Gebieten in Deutschland“. Diese würden dorthin geschickt, um jeweils eine Woche zu übernehmen. Als Kader hätte auch Bedrettin Kavak Kurd_innen dorthin geschickt.
Dass eine angemeldete Demonstration gegen die barbarischen Angriffe des IS sowie die Mahnwache in Straßburg als Beweise heran gezogen werden, macht deutlich, dass es sich keineswegs nur um ein Verfahren gegen Bedrettin Kavak handelt. Bedrettin ist stellvertretend für eine politische Bewegung und in der Türkei unterdrückte Bevölkerungsgruppe, sowie im Fall der Jesid*innen eine genozidal bedrohten Minderheit angeklagt, die systematisch kriminalisiert werden sollen.
Die Organisation von Demonstrationen gegen den Islamischen Staat werden in Deutschland also von den Kriminalämtern, in diesem Falle vom höchsten deutschen Kriminalamt, dem BKA, bespitzelt und zur Beweisführung gegen angebliche „Terroristen“ herangeführt.
Es wurde dadurch auch bei diesem Prozess gezeigt, dass es im Verfahren gegen Bedrettin Kavak keineswegs um eine von ihm durchgeführte Straftat in der Bundesrepublik Deutschland geht, sondern ausschließlich die Bekämpfung von unliebsamen politischen Strukturen die sich für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in Europa sowie im Land des liebsten Verbündeten Deutschlands, der Türkei, im Vordergrund steht.
Einseitiges (Un)Wissen…
Zum Auftakt des dritten Prozesstages stand die Vernehmung des Zeugens Becker, ebenfalls leitender Kommissar beim BKA und „Bährenführer“ des Zeugen und Kollegen Hirschberg, an.
Dieser sagte wie bereits in den vergangenen §129b Verfahren über (vermeintliche) Strukturen und militante Aktionen der PKK aus.
Er gab zunächst einen groben Abriss über die Führungsstrukturen im KCK. Laut seiner Erkenntnisse gibt es keine großen Veränderungen und die Satzung des KCK aus dem Jahre 2007 gilt noch immer. Eine Veränderung, die er anführte, sei die Besetzung von Positionen durch das Prinzip der Doppelspitze.
Dann führte er der PKK „zugerechnete“ Anschläge auf Polizei und Militäreinrichtungen aus den Jahren 2011 (20), 2012 (40) , 2013 (Im Jahre 2013 im März begannen dann die Friedensverhandlungen seitens Abdullah Öcalan und der Türkei, wodurch er keinen Erkenntnissen über Terroranschläge habe.), 2014 (11 – die Anschläge zielten auf den Bau von Staudämmen und Militäreinrichtungen in den kurdischen Gebieten ab) auf.
2015 sei es dann nach dem Anschlag in Suruc zu einer Eskalation gekommen. Der Anschlag in Suruc wurde nach seinen Erkenntnissen vom IS begangen, zu dem gab die PKK der türkischen Regierung eine Mitschuld. In der Folge berichtete er einseitig von der militärischen Eskalation in den kurdischen Gebieten der Türkei. Es habe im ersten Halbjahr 400 Anschläge gegeben und im zweiten Halbjahr nochmal 200. Zudem berichtete er von Anschlägen der Freiheitsfalken Kurdistan (TAK), von denen sich die PKK distanzierte habe, aber die Gefallenen als Märtyrer auf ihrer Website veröffentlicht seien sollen.
Mit keinem Wort ging Becker auf Anschläge auf Wahlkampfkundgebungen der HDP ein, ebenso wenig auf die seit Monaten stattfindenden Ausgangssperren, die militärischen Auseinandersetzungen in kurdischen Städten und die hohe Zahl kurdischer ziviler Opfer durch das türkische Militär.
Auf die Frage, wie eine Bewertung stattfindet und ob darin auch die Rolle der Türkei ermittelt wurde, antworte Becker, dass das nicht zu seinem Ermittlungsauftrag gehöre. Seine Ermittlungen und die Bewertung beschränken sich auf „klassische“ Terroranschläge und Angriffe, also auf Straftaten der PKK in der Türkei. Von wem die Aggressionen im Konflikt ausgehen, wurde nicht ermittelt. Dies zeigt, dass die Ermittlungen und Erkenntnisgewinne deutscher Behörden über die PKK einseitig gefärbt und völlig aus den politischen Hintergründen und Geschehnissen in der Türkei gerissen sind. Eine solch isolierte Betrachtungsweise kann keine richtige und umfassende Bewertung sein.
Für die Entwicklung in Europa und Deutschland betonte der Vorsitzende Richter, sei es wichtig festzustellen, ob die „Kader“ in Europa und Deutschland abhängig sind von der Führung in Kurdistan oder unabhängig nur die Interessen des Kurdischen Volks vertreten.
Becker berichtete dazu, dass es Einjahrespläne des Kongresses gibt, in denen Vorgaben für die Aktionen für die „Freiheit für Abdullah Öcalan“ festgeschrieben seien und in denen beschrieben ist, wie die „Gremien“ (Organisation in Europa) aufgebaut werden müssen.
Weiter beschrieb er, dass Europa in Gebiete eingeteilt ist, die von sogenannten „professionellen Kadern“ geleitet werden, die aber nicht ortsgebunden sind und mit der Zeit immer wieder wechseln.
Die schwerpunktmäßige Arbeit in Europa liegt auf Aktionen für „die Freiheit für Abdullah Öcalan“, der Streichung des PKK-Verbots und die Aufhebung des Vereinsverbots. Zudem sei die Durchführung von Spendenkampagnen ein Schwerpunkt der Arbeit. Diese dienten der Finanzierung der Medien und der Parteispitze. Zusätzlich, merkte Becker hier an, verschlucke der Freiheitskampf gegen den IS in Syrien sehr viel Geld.
Auf die Frage der Verteidigung, ob Herr Becker Erkenntnisse darüber habe, wie die Entscheidungsfindung in Europa stattfinde, entgegnet er, dass es einen „Befehl von oben“ gibt, welcher dann umgesetzt wird. Über den Diskussionsverlauf habe er keine Erkenntnisse.
Seine Kenntnisse über die Europaführung in Brüssel beschränkten sich auf die auch öffentlich auftretende Doppelspitze. In Belgien selbst sitzen nach seinem Kenntnisstands noch der TV Sender „Sterk-TV“, „der Europarat“ und eine Akademie in der Nähe von Brüssel.
Als Quellen für die Bewertung nannte Becker Daten aus Aservaten von vorhergehenden Ermittlungen aus dem Jahre 2011 und ein Rechtshilfeerlangen aus Belgien aus dem Jahre 2012 zu Dokumenten des PKK-Finanzbüros. Die Informationen zu Kongressbeschlüssen stammen vom Bundesamt für Verfassungsschutz und weitere Informationen aus der TKÜ und der Überwachung von E-Mail Postfächern. Zusätzlich wurden Presseauswertungen vorgenommen, wie etwa von Aussagen von Persönlichkeiten wie Cemil Bayık.
Auf die Frage welche Türkischen Medien ausgewertet wurden, nannte er die Yeni Özgür Politika und Internetseiten wie z.B Azadi.
Becker selbst hat laut eigenen Angaben nie einen Rechtshilfeersuch in die Türkei gestellt.
Auf die Frage, wie er die Umsetzung der Neuausrichtung der PKK umgesetzt sieht, beruft er sich auf einen Artikel in der Yeni Özgür Politika, in dem steht, dass wenn sich die Situation der Kurden nicht ändert, die PKK auch weiterhin separatistisch agieren wird.
Dass er seine (einseitigen) Erkenntnisse auch von Google und Wikipedia bezieht, teilte er in vorherigen Prozessen mit. Ob sich an seiner Google und Wikipedia-Praxis etwas veränderte blieb unklar. Sein Zögling und Kollege Hirschberg berichtete jedoch am 2. Prozesstag eindeutig davon, sich sein Wissen auch bei Google und Wikipedia anzueignen. Auf die Nachfrage, woher der Beamte sein Wissen bzgl. der PKK und sonstigen kurdischen Strukturen habe, verweist Hirschberg auf Google und Wikipedia. Laut eigener Aussage bezieht er daher auch sein Wissen über estimmte Bereiche der TKÜ, wie die technische Funktion von IMEI-Nummern, da er dies in seiner Ausbildung nicht gelernt habe.
Erneut stellt sich die Frage, in wie weit solches „Wissen“ geeignet für ein solches Verfahren ist und ob damit eine solche Anschuldigung belegt werden kann.
Der nächste Prozesstag findet am 17.05. vor dem 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamburg, in Saal 237, statt.