Prozessbericht des Solidaritätskomitees für die politischen Gefangenen Celle/Hannover

11thMai. × ’16

Verfahren vor dem OLG Celle gegen Mustafa Çelik wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§§ 129a, 129b StGB) vom 03.05.16 – 2. Prozesstag


Am 03.05.16 wurde der Prozess gegen Mustafa Çelik vor dem 4. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle fortgesetzt.
Die umfangreichen Kontrollen der Zuschauer*innen in Form von Personalienfeststellungen und Durchsuchungen wurden unverändert fortgeführt.
Knapp zwei Dutzend Zuschauer*innen waren anwesend, unter ihnen auch die Mutter Mustafas und weitere Familienangehörige.
Neben Rechtsanwalt (RA) Necdal Disli war an diesem Tag auch der zweite Verteidiger Mustafas, RA Heinz R. Schmitt, anwesend.

Als erste Zeugin in der Hauptverhandlung wurde eine Beamtin des Bundeskriminalamt (BKA) in den Zeugenstand gerufen, die als Sachbearbeiterin auf dem Gebiet „politisch motivierte Ausländerkriminalität“ tätig ist. In dem Ermittlungsverfahren gegen Mustafa selbst war sie gar nicht tätig, sondern berichtete von ihren Erkenntnissen, die sie aus dem Ermittlungsverfahren gegen Mehmet Demir erlangt habe. Mehmet Demir ist am 28.08.15 vom OLG Hamburg nach § 129b StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden, nachdem er bereits ein Jahr in Untersuchungshaft saß. Die Revision gegen dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 23.02.16 verworfen, sodass es rechtskräftig geworden ist.
Die Zeugin berichtete, dass sie im Verfahren gegen Mehmet Demir für die Auswertung von TKÜ-Maßnahmen (Telekommunikationsüberwachung) zuständig gewesen sei. Über diese Tätigkeit wäre sie auf verschiedene Gebietsverantwortliche der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) in Norddeutschland aufmerksam geworden. Zudem habe sie die Aufzeichnungen von Observationen von Treffen gesichtet bzw. wäre von anderen Polizeibehörden auf diese Aufzeichnungen aufmerksam gemacht worden.
Kurze Verwirrung entstand, als die Zeugin auf die ihr von ihrer Behörde erteilte Aussagegenehmigung hinwies, aus der nicht eindeutig hervor ginge, ob sie nur zu einem bestimmten Aktenvermerk, den sie angefertigt hatte, aussagen dürfe oder allgemein zu ihren Tätigkeiten im Zuge der aktuellen § 129b-Verfahren. Diese Unklarheit wurde durch ein kurzes Telefonat mit ihrer Dienststelle ausgeräumt mit dem Verweis, dass sie ja auch „in Stuttgart“ das gleiche ausgesagt hätte – gemeint ist wahrscheinlich das § 129b-Verfahren gegen Ali Özel vor dem OLG Stuttgart.
Mit der Bestätigung, dass sich die Aussagegenehmigung auf ihre gesamte Tätigkeit in diesem Komplex erstrecke, führt die Zeugin fort, dass sie ebenfalls für die Erstellung einer Chronik von „Anschlägen der HPG“ (HPG = „Volksverteidigungskräfte“ / Guerilla-Einheiten) verantwortlich sei. Dabei werte sie den Pressespiegel türkischer Medien aus, den das BKA regelmäßig vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erhalte. Die entsprechenden Artikel übersetze sie dann mit dem google-Übersetzer oder leite sie an Dolmetscher*innen weiter. Sie zähle nur „klassische terroristische Aktionen“, keine Gefechte. Was sie mit dieser und anderen Bezeichnungen genau meinte, führte sie nicht aus. „In der Schadensspalte“ führe sie nur die aus den Bekanntmachungen der HPG entnommenen Zahlen, wobei es ihr nur um die Opfer auf Seiten des türkischen Staates ginge. Ob sie diese Zahlen mit offiziellen Zahlen der türkischen Behörden oder ähnlichen Quellen vergleiche, verneinte sie auf Nachfrage der Verteidigung, sie habe sich auf die Auswertung der Presse beschränkt. Was genau Verluste oder Schaden bedeute, wenn nicht explizit von Toten/getöteten Soldaten die Rede sei, könne sie auch nur mutmaßen und dem Kontext entnehmen. Wäre die Rede davon, dass „Opferzahlen nicht geklärt“ gewesen wären, sei das so eine Übersetzung der Dolmetscher*innen, die sie „so übernommen [habe], da ich das nicht klären konnte“. Auf die Nachfrage der Verteidigung, wer denn mit „Verlusten“ gemeint sei, antwortete die Zeugin: „Ich gehe davon aus, dass es sich um Verluste der türkischen Seite handelt. … Ich muss davon ausgehen, denn wenn es sich um Märtyrer auf Seiten der HPG gehandelt hätte, wären sie anders dargestellt gewesen.“ Getötete Guerillas habe sie grundsätzlich zwar wahrgenommen, aber nicht aufgenommen. Das „hätte ich zwar machen können, aber dies ist ja eine Ermittlung gegen die HPG.“
Bezüglich der TKÜ führte die Zeugin aus, wie sie SMS verschiedener Anschlüsse übersetzen ließ und auswertete. „Das Gesamtpaket der Ermittlung zu dem Zeitpunkt“ habe auf die Identität eines vermeintlichen Verantwortlichen schließen lassen. Bestimmte Anweisungen und Rückmeldungen seien über SMS und „eine Internetseite“ gegangen. Der Anschluss, der Mustafa zugeordnet werden soll, wurde „von einem Ahmet oder Amed“ genutzt – was zwei total unterschiedliche Namen sind.
Mustafa soll anhand der Observation eines Treffens vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Niedersachsen als Gebietsverantwortlicher identifiziert worden sein, wobei diese Information über das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen an das BKA weitergeleitet worden sei. „Wie da die Kommunikation gelaufen ist, kann ich nicht sagen.“ Ein Polizist aus Oldenburg habe dann Mustafa auf einem Foto identifiziert, nachdem ihm dieser nach einer Personalienfeststellung bekannt gewesen sei. Auf Nachfrage des Richters Rosenow räumt die Zeugin ein, es habe keine eindeutige Zuordnung unter dem Klarnamen Mustafas stattgefunden. Die Zuordnung erschließe sich bloß aus dem Kontext. Mehrere Treffen sollen stattgefunden haben, wobei die Zeugin weder sagen konnte, wie viel, wo und wie oft oder ob überhaupt Mustafa an diesen Treffen teilgenommen habe.
Auf die Nachfrage der Staatsanwaltschaft (StA), ob Mustafa für „Ausreisen anderer ins Kampfgebiet“ verantwortlich gewesen sei, stutzte die Zeugin und sagte, es habe sich nur um eine Reise gehandelt; die Mutter einer gefallenen Kämpferin sei in die Heimat gereist.
Auf die Nachfrage der StA, ob das Wort „Abi“ in der überwachten Kommunikation verwendet worden wäre und was es bedeute, antwortete die Zeugin, sie habe sich von den Dolmetscher*innen erklären lassen, dass Abi „großer Bruder“ bedeute und eine Respektbezeichnung sei. Höhere Kader würden so genannt werden. RA Disli ließ es sich darauf hin nicht nehmen, zu unterstreichen, dass Abi eine sozial übliche Umgangsform in der türkischen Sprache sei.
Nach ihrer Aussage wurde die Zeugin entlassen.

Gegen Ende des zweiten Prozesstages ging Richter Rosenow noch einmal auf das Selbstleseverfahren ein. Dies soll die Beweisaufnahme des Verfahrens beschleunigen, indem die Verfahrensbeteiligten selbstständig die betreffenden Akten durcharbeiten und der Inhalt als gegeben angenommen wird, anstatt ihn nochmal mündlich in der Hauptverhandlung vorzutragen, wie es die Strafporzessordnung (StPO) grundsätzlich vorsieht.
Bis zum nächsten Termin sollten die Beteiligten die Vollständigkeit der ihnen ausgehändigten Kopien prüfen, wobei der Umfang der im Selbstleseverfahren eingeführten Akten noch nicht abgeschlossen sei und eine Erklärung der Beteiligten dazu ab dem 06.03.16 erwartet werde.

Damit endete bereits der zweite Prozesstag.
Die Hauptverhandlung wird am 13.05.16 fortgesetzt, wozu ein weiterer Zeuge des BKA geladen sein wird.


Weitere anberaumte Prozesstermine:
Jeweils um 9.15 Uhr im OLG Celle/Saal 94 (Schlossplatz 2, Eingang Kanzleistraße):
im Mai: 13.05.16, 17.05.16, 20.05.16, 24.05.16, 27.05.16,
im Juni: 03.06.16, 07.06.16, 10.06.16, 14.06.16, 17.06.16, 21.06.16, 24.06.16, 28.06.16,
im Juli: 01.07.16, 05.07.16.

Für eine Anreise vom Hannover Hbf bietet sich die S-Bahn um 8.04 Uhr an.


Weitere und fortlaufende Infos zu allen § 129b-Verfahren gegen kurdische Aktivist*innen: https://freiheit.blackblogs.org

Pressekontakt des Solidaritätskomitees:
NAV-DEM Hannover
nav-dem_hannover [at] posteo.de
015213381093

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