AZADI Infodienst Nr. 171, Bericht Zeki Eroğlu

1stMai. × ’17

aus AZADI infodienst Nr. 171, April 2017 (PDF hier)

Verteidigung von Zeki Eroǧlu kritisieren OLG Hamburg: Richter schalten ihr Gewissen aus

„Das Gericht räumt ein, dass es in der Türkei systematisches Unrecht und staatliche Kriegsverbrechen gibt. Es gesteht den Kurden jedoch nicht das Recht auf bewaffneten Widerstand gemäß Völkerrecht oder Widerstand gemäß § 20 Abs. 4 Grundgesetz in Verbindung mit den Notwehrrechten aus den Paragrafen 32, 34 Strafgesetzbuch zu“, kritisieren Britta Eder und Alexander Kienzle. Beide verteidigen Zeki Eroǧlu, der seit dem 17. Februar in Hamburg vor Gericht steht. Die Anklage wirft dem kurdischen Aktivisten vor, angeblich führender Kader der in Deutschland als terroristische Vereinigung im Ausland (§129b StGB) eingestuften PKK gewesen zu sein. „Insgesamt zeugt die Haltung der Richter von einer großen Ignoranz gegenüber dem Beschuldigten sowie der tatsächlichen Situation in der Türkei. Sie verstecken sich hinter der Entscheidung des Justizministeriums und formalen Vorgaben und schalten ihr Gewissen aus. Das ist gerade in Anbetracht der deutschen Geschichte bedenklich“, ergänzt eine Besucherin des Prozesses.

Hexe Kumri

In den Verhandlungen am 11. und 12. April wurden überwiegend abgehörte Telefongespräche verlesen, in denen es einem Bericht der „jungen welt“ zufolge in erster Linie um persönliche Angelegenheiten, Demonstrationsanmeldungen, Konfliktklärungen innerhalb der kurdischen Gemeinschaft und um die Hexe Kumri ging, einer Märchenfigur, die Menschen hilft.

Zeki Eroǧlu sieht sich vorverurteilt

In einer zweiten Erklärung erläuterte Zeki Eroǧlu die Geschichte der seit Republikgründung 1923 andauernden systematischen Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung und die an ihnen verübten Massaker in der Türkei. Seine politischen Aktivitäten seien im Rahmen der Geschichte des Widerstands gegen die staatliche Vernichtungspolitik zu bewerten. „Da das Gericht alle Anträge der Verteidigung abgelehnt hat und nach dem Anhören der Telefongespräche möglichst schnell zum Ende kommen will, stellt sich mir die Frage, ob das Urteil nicht schon im Vorhinein geschrieben ist“, konstatierte Eroǧlu. Das Gericht müsse sich angesichts der Verbrechen staatlicher Kräfte an Kurdinnen und Kurden und der folgenreichen traumatischen Folgen für die Menschen damit auseinandersetzen, dass sie vor diesem Hintergrund ein Recht auf Widerstand hätten.

Nichts hören, nichts sehen, nicht wissen wollen

In Anträgen, die an beiden Tagen von der Verteidigung eingebracht wurden, ging es u.a. um Aussagen des türkischen Geheimdienstmitarbeiters Yıldırım Begler, dessen Behörde JITEM in den 1990er Jahren für Tausende Fälle von „Verschwindenlassen“ und extralegalen Hinrichtungen verantwortlich gewesen ist. So wurde ein Interview verlesen, das er im Jahre 2009 der türkischen Zeitung „Sabah“ gegeben hatte, in dem er u.a. sagte: „Bei uns gab es keine Brunnen! Wir waren professionell (lacht). Diese Brunnen waren was für Anfänger (…). Auf dem Gelände der Kompanie gab es einen Kesselraum. Wenn du da jemanden reinwirfst, was passiert dann? Es bleibt Asche zurück. Ich kenne den Ort der Asche. Wir kennen ihn. Sonst kennt ihn keiner.“ Er selbst sei für den Tod von mehreren hundert Kurden verantwortlich gewesen, die auf einer Liste gestanden und die seine Einheit abgearbeitet habe.

Die Verteidigung wies darauf hin, dass auch im Jahre 2015 „im Rahmen monatelanger Ausgangssperren in Städten und Dörfern des Südostens der Türkei diese Methoden extralegaler Hinrichtungen und des Verschwindenlassens in noch viel systematischeren Art und Weise durchgeführt“ worden seien. Dazu gehöre, Stadtteile nahezu vollständig zu zerstören und sich dort noch aufhaltende Menschen zu töten.
Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts unter Vorsitz von Richter Dr. Rühle war allerdings nicht bereit, sich mit diesem Interview und Beweismitteln zu Kriegsverbrechen der türkischen Armee weiter zu beschäftigen.

(Tageszeitung junge Welt v. 15.04.2017/Azadî)

Weitere Verhandlungstermine – Änderungen möglich –:

– jeweils 9.00 Uhr, Hanseat. OLG, Saal 288, Sievekingplatz 3 –

Termin am Donnerstag, 4. Mai fällt aus!

15. Prozesstag: Freitag, 5. Mai,
16. Prozesstag: Freitag, 12. Mai,
17. Prozesstag: Montag, 15. Mai,
18. Prozesstag: Freitag, 19. Mai,
19. Prozesstag: Montag, 22. Mai,
20. Prozesstag: Montag, 29. Mai
21. Prozesstag: Dienstag, 30. Mai.


Zeki Eroǧlu wurde auf Ersuchen der deutschen Strafverfolgungsbehörden am 13. April 2016 in Stockholm fest- und in Auslieferungshaft genommen. Eine Überstellung an Deutschland erfolgte am 6. Juli; er kam in U-Haft in die JVA Schwäbisch Hall. Ursprünglich hätte das Verfahren vor dem OLG Stuttgart geführt werden sollen. Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) entschied jedoch, den Kurden in Hamburg anzuklagen.
Anfang Januar dieses Jahres ist Zeki Eroǧlu entsprechend in die JVA Hamburg-Holstenglacis verlegt worden. Weil es sich um ein §129b-Verfahren handelt, hat die GBA diese Wahlmöglichkeit. Die Verteidigung hatte gerügt, dass das Hanseatische OLG nicht das zuständige Gericht sei, weil auch aus der Anklageschrift hierfür kein sachlicher Grund erkennbar sei. Der Antrag wurde abgelehnt.
Der Bundesgerichtshof (BGH) beschloss Ende Oktober 2010, auch die PKK nach §129b strafrechtlich verfolgen zu lassen. Daraufhin erteilte das Bundesjustizministerium am 6. September 2011 eine generelle Ermächtigung, alle angeblichen Führungskräfte der PKK wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach §129a in Verbindung mit §129b StGB zu verfolgen.
Diese Ermächtigung, die sowohl generell als auch individuell verfügt werden kann, erfolgt in Absprache mit dem Bundesinnenministerium, dem Auswärtigen Amt sowie dem Bundeskanzleramt und basiert auf politischen Opportunitätserwägungen und Interessen.
Weder müssen diese Entscheidungen begründet noch können sie rechtlich angegriffen werden.
Gegen diese Politisierung des Strafrechts haben Verteidiger verschiedener §129b-Verfahren am 2. März dieses Jahres Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Ein im September 2016 an das BMJV gerichteter Antrag der Verteidiger auf Rücknahme der Verfolgungsermächtigung wurde rigoros abgelehnt.
Gleiches widerfuhr einem Antrag, der in einem §129b-Verfahren vor dem Kammergericht Berlin eingereicht worden war.

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